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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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plumpsen, dann schaute er zu Nari und den Männern auf, die ihn begleitet hatten und ihm gefolgt waren. Sein Antlitz wirkte grau, seine Hände zitterten.
    »Raus hier«, befahl er, ohne sich damit an jemand bestimmten zu wenden, was nicht nötig war. Alle außer Tharin entfernten sich. Zuletzt sah Nari, wie er reglos ein Stück abseits stand und mit völlig ausdrucksloser Miene die beiden Männer beobachtete.
    Nari befand sich auf halbem Weg die Treppe hinauf, als ihr einfiel, dass Tobin beim vormittäglichen Unterricht mit seiner Mutter gewesen war.
    Sie nahm die verbleibenden Stufen zwei auf einmal und rannte den Gang hinab. Ihr Herz setzte einen schmerzlichen Schlag aus, als sie die zerbrochenen Lampen auf dem Boden erblickte. Sowohl Tobins Schlafgemach als auch das Spielzimmer standen leer. Das Schreibzeug, das er und seine Mutter verwendet hatten, lag über den Boden verstreut, und einer der Stühle war auf die Seite gekippt.
    Angst schloss sich gleich einer Faust um Naris Herz. »O Illior, lass das Kind in Sicherheit sein!«
    Sie hastete zurück auf den Gang und sah, dass die Tür zum dritten Stockwerk offen stand.
    »Erschaffer, erbarme dich, nein!«, flüsterte sie und eilte hinauf.
    Oben lagen zerrissene Wandbehänge über den feuchten Gang verstreut. Sie schienen sich an Naris Füßen zu verheddern, als sie auf die gesplitterte Turmtür zu und weiter hinauf über die schmale Treppe dahinter rannte. Als Ariani noch gelebt hatte, war sie in diesen Gefilden nicht erwünscht gewesen; selbst jetzt noch fühlte sie sich wie ein Eindringling. Was sie sah, als sie am oberen Ende der Treppe angelangte, fegte derlei Zweifel schlagartig hinfort.
    Das Turmzimmer übersäten zerbrochene Möbel und verstümmelte Puppen. Alle vier Fenster standen offen, dennoch herrschten in der Kammer Düsternis und Gestank vor.
    Sie kannte jenen Geruch.
    »Tobin? Wo bist du, Kind?«
    Ihre Stimme schien den kleinen Raum kaum zu durchdringen, aber sie hörte deutlich das Geräusch abgehackten Atmens und folgte ihm um die von dem tödlichen Fenster am weitesten entfernte Ecke. Halb unter einem herabgefallenen Wandbehang verborgen kauerte Tobin an der Wand, die dünnen Arme um die Knie geschlungen; seine Augen starrten geweitet ins Leere.
    »Oh, mein armer Liebling!«, stieß Nari hervor und sank neben ihm auf die Knie.
    Das Gesicht und der Kittel des Kindes waren blutverschmiert, was sie zunächst befürchten ließ, dass Ariani versucht hatte, Tobin die Kehle durchzuschneiden, dass er in ihren Armen sterben würde, dass all die Schmerzen, die Lügen und das Warten vergebens gewesen waren.
    Sie wollte ihn hochheben, aber Tobin wich zurück und drückte sich noch enger in seinen Winkel, die Augen immer noch ausdruckslos.
    »Tobin, mein Schatz, ich bin es. Komm, lass uns nach unten in dein Zimmer gehen.«
    Das Kind rührte sich weder, noch ließ es erkennen, dass es ihre Gegenwart überhaupt wahrnahm. Nari ließ sich dicht neben ihm nieder und streichelte ihm über das Haar. »Bitte, mein Liebling. Das ist ein garstiger, kalter Ort. Komm für einen Teller von Köchins guter Suppe mit in die Küche. Tobin? Sieh mich an, Kind. Bist du verletzt?«
    Schwere Schritte pochten die Turmtreppe herauf, und Rhius stürmte mit Tharin im Gefolge herein.
    »Hast du …? Oh, Dank sei dem Licht!« Rhius stolperte über Möbeltrümmer und kniete neben ihr nieder. »Ist er schlimm verletzt?«
    »Nein, nur sehr verängstigt, Herr«, flüsterte Nari, die immer noch Tobins Haar streichelte. »Er muss gesehen haben, wie …«
    Rhius beugte sich vor, ergriff behutsam Tobins Kinn und versuchte, den Kopf des Jungen anzuheben. Tobin riss sich los.
    »Was ist geschehen? Warum hat sie dich hierher gebracht?«, fragte Rhius leise.
    Tobin erwiderte nichts.
    »Seht euch nur um, Herr!« Nari strich Tobin das schwarze Haar zurück, um den großen, blauen Fleck zu begutachten, der sich in seinem Gesicht ausbreitete. Das Blut darin und an seinen Kleidern stammte von einer halbmondförmigen Platzwunde an der Kinnspitze. Sie war nicht groß, aber tief. »Sie muss gesehen haben, wie der König mit Euch angeritten kam. Es war das erste Mal, seit … Nun, Ihr wisst ja, wie sie war.«
    Nari betrachtete Tobins bleiche Züge eingehender. Keine Tränen, aber seine Augen waren geweitet und starr, als beobachte er immer noch, was immer sich zugetragen haben mochte.
    Er widersetzte sich nicht, als ihn sein Vater aufhob und hinunter in sein Schlafzimmer trug. Allerdings entspannte er sich

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