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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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der silbrigen, taufeuchten Wiese grasten. Als er sich näherte, legten sie die Ohren an, sprangen jedoch nicht davon. Tobin ging zu ihnen und streichelte ihre weichen, braunen Schnauzen. Sie neigten unter seiner Hand die Köpfe, dann schlichen sie in den dunklen Wald davon. Im Boden, wo sie gegrast hatten, prangte ein Loch gleich einem Eingang zu einem Fuchsbau. Die Öffnung erwies sich als gerade groß genug für ihn zum Hineinkriechen, also tat er es.
    Tobin schlängelte sich hindurch und fand darunter einen Raum vor, der stark der Turmkammer seiner Mutter ähnelte. Die Fenster standen offen, wurden jedoch von dichter Erde und Wurzeln versperrt. Dennoch war es nicht dunkel in dem Raum, da ihn ein fröhlich knisterndes Feuer im Kamin in der Mitte erhellte. Ein Tisch daneben war mit Honigkuchen und Milchgläsern gedeckt. Davor stand ein Stuhl mit der Rückenlehne zu Tobin, doch er konnte erkennen, dass jemand darauf saß, jemand mit langem, schwarzem Haar.
    »Mama?«, fragte Tobin, gefangen zwischen Freude und Grauen. Die Frau begann, sich umzudrehen …
    Und Tobin erwachte.
    Eine Weile lag er da und blinzelte Tränen zurück, während er Naris leisem Schnarchen neben ihm lauschte. Der Traum hatte sich so echt angefühlt, und er hatte sich so sehr gewünscht, seine Mutter wiederzusehen. Er wollte, dass sie lächelte und freundlich war. Er wollte mit ihr gemeinsam am Tisch neben dem Feuer sitzen und zusammen die Honigkuchen essen, wie sie es nie an einem seiner Namenstage getan hatten.
    Tobin grub sich tiefer unter die Decke und fragte sich, ob es ihm gelingen könnte, in den Traum zurückzugleiten. Plötzlich ließ ihn ein Bruchstück davon vollständig erwachen.
    Er hatte die Puppe im Spielzeugzimmer gelassen.
    Tobin kroch aus dem Bett, ergriff die Nachtlampe von ihrem Tischchen, ging ins nächste Zimmer und fragte sich dabei, ob alles so wie in seinem Traum sein würde.
    Aber in dem Raum herrschte immer noch ein wüstes Durcheinander. Alles lag noch, wohin es gefallen war. Tobin versuchte, nicht auf die zerbrochene Stadt zu blicken, als er die schweren Wandbehänge beiseite hievte, um nach der Puppe zu suchen, die er fallen gelassen haben musste.
    Sie war nicht da.
    Elend kauerte er sich mit den Armen um die Knie hin und malte sich aus, wie jemand – Nari oder Mynir vermutlich – sie gefunden und vor Missbilligung kopfschüttelnd fortgetragen hatte. Würden sie es seinem Vater erzählen? Würden sie Tobin die Puppe zurückgeben?
    Etwas traf ihn am Kopf; er kippte zur Seite und würgte einen Aufschrei des Erschreckens zurück.
    Neben ihm auf dem Boden, wo sich einen Lidschlag zuvor zweifelsfrei noch nichts befunden hatte, lag die Puppe. Tobin konnte den Dämon zwar nicht sehen, aber er spürte ihn, konnte fühlen, wie er ihn aus der fernen Ecke des Zimmers beobachtete.
    Langsam, vorsichtig hob Tobin die Puppe auf und flüsterte: »Danke.«

K APITEL 13
     
    Da Tobin nicht das Wagnis eingehen wollte, die Puppe erneut zu verlieren, brachte er sie zurück in sein Zimmer, wo er sie im Mehlsack verstaute und tief in der zweckentfremdeten Kleidertruhe unter seinen Pergamenten, einigen alten Spielsachen und seinem zweitbesten Mantel vergrub.
    Danach war ihm etwas wohler ums Herz, doch der Traum von seinem Gang in den Wald kehrte in der nächsten Woche noch dreimal wieder und endete stets, bevor er die Frau auf dem Stuhl erreichen konnte.
    Es war jedes Mal dasselbe, in allen Einzelheiten bis auf eine. In diesen Träumen brachte er die Puppe zurück zu seiner Mutter, da er wusste, sie würde sie für ihn in ihrem unterirdischen Zimmer sicher aufbewahren.
    Eine weitere Woche zog ins Land, und der Traum stellte sich abermals ein, wurde in seinem Verstand so wirklich, dass ihm letztlich klar wurde, er musste sich aufmachen und nachsehen, ob es einen solchen Ort tatsächlich gab. Das bedeutete, dass er ungehorsam sein und die Feste alleine verlassen musste, doch der Traum war zu eindringlich, um ihn zu verleugnen.
    Geduldig harrte er aus und erblickte seine Gelegenheit an einem Waschtag Mitte des Gorathin, an dem alle bis zum Abend auf dem Küchenhof beschäftigt sein würden. Am Vormittag half er mit, schleppte Wassereimer zum Füllen der Waschzuber vom Fluss herauf und schleifte Gezweigbündel vom Holzschuppen herbei, um das Feuer zu entzünden. Der östliche Himmel, im Morgengrauen noch so klar, verfinsterte sich bedrohlich über den Baumwipfeln, und alle beeilten sich, um fertig zu werden, ehe der Regen einsetzte.
    Tobin

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