Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Ehre!«
»Aber was ist, wenn er nicht nett ist?«, beharrte Tobin.
»Tja, dann schicke ich den kleinen Narren höchstpersönlich wieder fort«, erklärte Nari. In sanfterem Tonfall fügte sie hinzu: »Hör auf, dir den Kopf zu zerbrechen, mein Liebling. Mach dir keine Sorgen.«
Tobin seufzte und tat so, als schliefe er ein. Seiner Ansicht nach hatte er genug, was ihm Sorgen bereitete. Nicht zuletzt zählte dazu, mit übellaunigen Geistern und lauten, lachenden, scharfäugigen Zauberern geschlagen zu sein.
K APITEL 19
Iya las Arkoniels Brief mehrmals durch, während der Bote des Herzogs draußen auf dem Hof der Herberge ihrer Antwort harrte. Sie drückte sich den kleinen Pergamentbogen ans Herz, blickte hinaus auf den betriebsamen Hafen und versuchte, ihrer widerstreitenden Gefühlsregungen zu ordnen.
Ihre erste Eingebung ähnelte jener des Herzogs: Das Kind eines anderen Adeligen zu holen, brächte beide Häuser in Gefahr. Tief im Herzen jedoch wusste sie, dass Arkoniel Recht hatte. Abermals schaute sie auf den Brief hinab.
Ich weiß, dass du meine Entscheidung missbilligen, vermutlich sogar wütend über meine Vermessenheit sein wirst, aber ich glaube, damit richtig zu handeln. Das Kind ist fast zehn und bereits so seltsam, dass ich fürchte, es wird sich am Hof schwerlich zurechtfinden, wenn es erwachsen ist. Der Haushalt gebart sich gebieterisch beschützend. Dieses Kind war noch nie an einem heißen Tag schwimmen, hatte noch nie einen Nachmittag für sich allein auf der Weide vor den Toren. Um des Andenkens seiner Mutter und ihrer Linie willen, müssen wir tun, was in unserer Macht steht …
» Seiner Mutter, so ist es«, murmelte Iya zufrieden darüber, dass Arkoniel so vorsichtig gewesen war. Briefe fielen nur allzu oft in die falschen Hände, sei es durch Zufall oder Plan.
Die Wahl des Gefährten überlasse ich selbstverständlich dir. Ja, damit versuchte er, sie zu beschwichtigen, nachdem er bereits seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte. Der Gefährte sollte fröhlich, tapfer, unbeschwert sein und sich für die Kunst des Krieges und der Jagd begeistern, denn der Junge findet mich in dieser Hinsicht beklagenswert unzulänglich. Da es in der Feste sehr einsam ist, und der Prinz den Hof noch nicht besucht, wäre es gut, wenn du einen Jungen finden könntest, der von seiner Familie nicht allzu sehr vermisst wird, sollte er länger in der Ferne weilen. Und er sollte kein erstgeborener Sohn sein.
Sie nickte bei sich, zumal sie nur allzu gut verstand, welcher Gedanke hinter dem letzten Satz stand: Es musste ein entbehrlicher Junge sein.
Iya steckte den Brief weg und schmiedete in Gedanken bereits Pläne. Sie würde einige der Fürsten besuchen, die hier in den südlichen Bergen kleine Landgüter besaßen. Sie gehörten großen Familien an.
Derlei Überlegungen halfen, die tiefer reichenden Auswirkungen von Arkoniels Vorschlag zu verdrängen: Er würde bei Tobin bleiben. Natürlich war seine Ausbildung weit genug fortgeschritten, dass er sie eine Zeit lang verlassen oder sogar gänzlich eigene Wege gehen konnte. Andere Schüler hatten sich mit weniger begnügt und sie verlassen. Arkoniel hingegen wusste bereits genug, um mit der Schale betraut zu werden, wenn die Zeit dafür kam.
Dennoch hasste sie es, ohne ihn sein zu müssen. Er war der beste Schüler, den sie je gehabt hatte, und wäre in der Lage, noch so viel mehr zu lernen, als er bereits hatte. Weit mehr, als sie ihm beibringen konnte, um genau zu sein. Andererseits würde durch ein paar Jahre der Trennung kein schlechterer Zauberer aus ihm werden.
Nein, es war die Erinnerung an seine Visionen, die sie quälten, jene Visionen, in denen sie nicht vorgekommen war. Iya war nicht bereit, ohne ihn sein zu müssen, den Sohn ihres Herzens.
K APITEL 20
Wie Tobin befürchtet hatte, begann der Zauberer fast sofort, Dinge zu verändern, wenngleich auf andere Weise, als er erwartet hatte.
Vorerst wohnte Arkoniel weiter im Spielzimmer, doch binnen einer Woche nach der Abreise von Tobins Vater trudelten Arbeiter in ganzen Wagenladungen ein und errichteten ein kleines Dorf aus Zelten auf der Weide. Ein steter Strom von Karren folgte ihnen, beladen mit Material jeder Art. Bald stapelten sich auf den Höfen und in den leer stehenden Truppenunterkünften Holz, Stein, Mischtröge und schwere Säcke. Tobin wurde nicht erlaubt, hinaus zu den Fremden zu gehen, also stand er zumeist an seinem Fenster und beobachtete ihr geschäftiges Treiben.
Ihm war
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