Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
mit den anderen, dass es keine leere Drohung war.
Als sie hintereinander hinausmarschierten, drückte er kurz und verstohlen Tobins Handgelenk. »Bereit?«
Tobin sah ihn völlig ruhig an. »Selbstverständlich. Und du?«
Grinsend nickte Ki. Auch er verspürte keine Angst, doch insgeheim schwor er sich, dass seine oberste Sorge nicht Korin gelten würde, sollte es Ärger geben.
Ein gelber Vollmond hing über der Stadt und malte einen wogenden, goldenen Pfad über das Antlitz des Hafens. Die Luft war totenstill, als hielte die ganze Stadt den Atem an. Keine Brise vom Meer lockerte den stickigen Sommergestank der Straßen auf. Kis Fackel flackerte kaum, als sie langsam vor sich hinritten. Die hohen Steingebäude entlang der Hauptstraße ließen das Klappern der Hufe und das klägliche Pochen der Trommeln widerhallen.
Tobin ritt natürlich neben Korin und Porion, Ki hinter ihnen mit Caliel, Mylirin und Tanil. Alle Knappen trugen Fackeln. Die Garde des Königs flankierte sie und bildete die Nachhut. Ki war froh über die Reihen roter Wappenröcke zu beiden Seiten. An jenem Abend spürte er die volle Last der Verantwortung, die mit all ihrer Ausbildung, den Banketten und den Übungsgefechten einherging.
Wenn er zurückschaute, konnte er den König nur ansatzweise über den Köpfen der anderen Gefährten erkennen. Das Fackellicht verwandelte Erius' Krone in einen Kranz aus Feuer um die Stirn, und es ließ sein erhobenes Schwert funkeln.
»Er sieht aus wie Sakor höchstpersönlich, findest du nicht?«, flüsterte Mylirin bewundernd, als er Kis Blick folgte.
Ki nickte, dann wurde er von einem silbrigen und weißen Aufblitzen neben dem König abgelenkt. Fürst Niryn ritt wie ein General neben Erius.
Die Menschenmenge vor dem Palatin hatte sich als kleiner und ruhiger als erwartet erwiesen. Nun bahnten sie sich den Weg durch ein Viertel, das vorwiegend adelige Aurënfaie und reiche Händler bewohnten, und Ki sah sich unruhig um. Es war noch nicht spät, dennoch zeigte sich kaum irgendwo ein Licht.
Ein Herold ritt dem Haupttross voraus und rief: »Die Gerechtigkeit des Königs wird geübt. Lang lebe König Erius!«
Einige Umstehende griffen den Ruf auf, andere hingegen zogen sich in schattige Eingänge zurück und beobachteten ihr Vorüberziehen schweigend. Als Ki aufschaute, erblickte er Leute, die sie von ihren Fenstern aus beobachteten. Er wappnete sich für weitere Kohlköpfe oder Schlimmeres.
»Priestermörder!«, brüllte eine einsame Stimme aus der Dunkelheit. Ki sah, dass mehrere Gardisten Ausschau nach dem Andersdenkenden hielten, und ein Gefühl der Unwirklichkeit erfasste ihn. Diese Straßen, durch die er vor Kurzem so unbeschwert geritten war, vermittelten plötzlich den Eindruck von Feindgebiet.
Tobin und Korin saßen steif wie ein Paar Schürhaken im Sattel, aber Tobin sah sich um, achtete wachsam auf eine mögliche Bedrohung. Ki wünschte, er könnte das Gesicht seines Freundes erkennen und in jenen blauen Augen lesen, was Tobin von all dem hielt, denn mit einem Mal spürte Ki deutlicher als je zuvor die Kluft, die sie trennte – nicht die des Reichtums, sondern jene des Blutes, der Geschichte und des Ranges.
In der Nähe des Ostmarktes wurden die Menschenmassen dichter. Viele hielten Fackeln hoch erhoben, um den Weg des Königs zu erhellen, und Ki musterte prüfend die Gesichter: Einige wirkten traurig, andere lächelten. Ein paar Menschen winkten, vereinzelt wurde geweint.
Ki versteifte sich und suchte die Menge nach dem Funkeln einer Klinge oder der Krümmung eines Bogens ab. Als endlich das Tor vor ihnen in Sicht geriet, erschauderte er mit einer Mischung aus Erleichterung und Furcht. Er hörte deutlich die Geräusche einer riesigen Menschenansammlung.
Dies war der größte Platz der Stadt. Er befand sich auf halbem Wege zwischen dem Palatin und dem Hafen und wurde auf drei Seiten von hohen Gebäuden gesäumt, darunter das Theater, das die Gefährten schon oft besucht hatten. Der kopfsteingepflasterte Platz hing leicht nach Osten und wurde auf jener Seite von einer niedrigen Steinbrüstung begrenzt, die einen kleinen, bewaldeten Park und den Hafen überblickte.
An diesem Abend erkannte Ki den Ort kaum. Sämtliche Stände waren entfernt worden, und die Menschen standen Schulter an Schulter, abgesehen von einem Prozessionsweg, den Niryns Graurücken freihielten. Sogar der Schrein der Vier war verschwunden. Mehr als der Anblick all der Spürhundgardisten verursachte Ki dieser Umstand ein
Weitere Kostenlose Bücher