Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
könnten, wie er nun erkannte, doch einen Augenblick lang hatte die Möglichkeit allzu wirklich geschienen.
Beiden Männern waren aufwendige, rote Muster auf die Brust gemalt und Eisenmasken über die Gesichter geschnallt worden. Diese wiesen lediglich schräge Schlitze für die Augen und die Nase auf und verliehen den Gefangenen ein böses, unmenschliches Aussehen. Metallketten fesselten ihre Handgelenke.
Die Wachen zwangen sie auf die Knie, und Niryn trat hinter sie und hob die Arme über ihre Köpfe. Tobin hatte immer gefunden, dass Niryn wie ein Bücherwurm aussah, nun jedoch schien er anzuschwellen und zu wachsen, ragte bedrohlich über den Verurteilten auf.
»Sehet die Feinde Skalas!«, rief er mit einer Stimme, die bis zu den fernsten Winkeln des Platzes hallte. Er wartete, bis das darob aufbrandende Gebrüll erstarb, dann fuhr er fort: »Sehet diese so genannten Zauberer, die den rechtmäßigen Herrscher von Skala stürzen wollten. Hexer! Sie verderben Ernten und Herden, predigen Aufruhr, beschwören Unwetter herbei, auf dass Blitze und Feuer über die unschuldigen Menschen ihrer Dörfer kommen. Sie entweihen den geheiligten Namen Illiors mit abartiger Magie und bedrohen die Sicherheit unseres Landes!«
Tobin schauderte; dies waren überaus schwerwiegende Anschuldigungen. Doch als er die verurteilten Zauberer musterte, fiel ihm nur auf, wie hilflos und gewöhnlich sie wirkten. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass sie jemandem ein Leid antun könnten.
Niryn drückte sich beide Hände an die Stirn und aufs Herz, dann verneigte er sich tief vor dem König. »König Erius, was ist Euer Wille?«
Erius stieg ab, erklomm die Plattform und ging zu ihm. Er drehte sich der Menge zu, zog Ghërilains Schwert, stellte es mit der Spitze zwischen seinen Füßen ab und faltete die Hände über den Griff. »Reinigt das Land, getreue Zauberer von Skala«, rief er. »Beschützt mein Volk!«
Kein Soldat trat vor. Stattdessen schleiften die Zauberer der Spürhunde die Verurteilten zu den aufrechten Rahmen. Drei der Zauberer standen etwas abseits und stimmten einen steten Sprechgesang an, während die Gefangenen von ihren Fesseln befreit und rasch in gespreizter Haltung mit Silberseilen an die Rahmen gebunden wurden.
Einer der Verurteilten schien betäubt oder krank. Seine Beine wollten sein Gewicht nicht tragen, und er musste gestützt werden, während er festgezurrt wurde. Der andere verhielt sich weniger teilnahmslos. In dem Augenblick, als die Zauberer nach seinen Händen griffen, um sie an den Rahmen zu fesseln, wand er sich schlagartig los und taumelte vorwärts. Er hob die Hände ans Gesicht, stieß einen erstickten Schrei aus, und die Eisenmaske zerbarst in einer Wolke aus Rauch und Funken. Blut spritzte auf die Gewänder der nahesten Zauberer.
Tobin beobachtete das Geschehen entsetzt und zugleich wie gebannt, war unfähig, den Blick abzuwenden. Das blutige Antlitz des Mannes war grässlich aufgerissen und vor Schmerzen verzerrt. Zerbrochene Zähne traten in einem trotzig verzogenen Mund zutage, als der Mann die Fäuste in Richtung der Menschenmenge erhob und brüllte: »Narren! Blinde Schafe!«
Die Zauberer packten ihn, aber er setzte sich heftig zur Wehr und schüttelte sie ab. »Dein Tag der Abrechnung wird kommen!«, schrie er und deutete auf den König. »Die wahre Königin steht bereit; sie weilt bereits unter uns …«
Er riss sich los, als ein weiterer Zauberer ihn zu fassen versuchte, und plötzlich starrte er unmittelbar auf Tobin herab.
Der Junge vermeinte, ein jähes Aufflammen von Erkennen in diesen wirren Augen zu erkennen. Ein seltsames Kribbeln breitete sich über ihn aus, als sie einander eine scheinbar lange Weile anstarrten.
Er sieht mich! Er sieht mein wahres Gesicht!, dachte Tobin benommen, als etwas, das an Freude erinnerte, in den Blick des Mannes trat. Dann stürzten sich die anderen wieder auf ihn und zerrten ihn zurück.
Von jenem Blick befreit, sah sich Tobin panisch um und fragte sich, ob die Menge ihn fliehen ließe, sollte Niryn ihn anprangern. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Zauberer und der König von dem Handgemenge zurücktraten, doch er wagte nicht, unmittelbar hinzuschauen. Starrten sie ihn an? Hatten sie begriffen? Als er schließlich doch hinspähte, beobachteten die beiden den Verlauf der Hinrichtung.
Die Zauberer der Spürhunde schleiften den sich wehrenden Mann an den Armen und Haaren wieder zum Rahmen, dann rissen sie ihm so heftig den Kopf zurück, dass
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