Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
den König um den Finger gewickelt hat. Sie weiß schon, wer das Brot verteilt.«
Erius hatte sie äußerst lieb gewonnen und in den Wochen ihrer Abgeschiedenheit nach der Fehlgeburt täglich mit Geschenken besucht.
Unter der Fürsorge ihrer Mutter und der Hälfte der Drysier des Hains erholte sie sich rasch. Als es ihr gut genug ging, um in See zu stechen, war der Kummer verblasst, und die Menschen sprachen hinter vorgehaltenen Händen hoffnungsvoll darüber, welch gute Wirkung frische Meeresluft auf eine junge Braut haben könnte.
Nachdem sie so lange zur Untätigkeit verbannt gewesen waren, begrüßten Tobin und die anderen die Ankündigung des Aufbruchs mit Jubel. Da das Stadtleben sie über alle Maße langweilte, bot die Aussicht auf eine Reise selbst mitten im Winter eine willkommene Flucht.
Tobin hatte eigene Gründe, sich darauf zu freuen. Eine Woche, bevor sie die Segel setzen sollten, stattete Iya ihm einen weiteren ihrer unverhofften Besuche ab.
»Das ist eine seltene Gelegenheit für dich«, meinte sie, als sie alleine im Haus seiner Mutter beisammensaßen. »Vergiss nie, dass dir vorherbestimmt ist, über dieses Land zu herrschen. Lern so viel darüber, wie du kannst. Sieh dich mit den Augen um, die dir dein Lehrmeister Rabe gegeben hat.«
»Weil ich Skala einst vor Plenimar beschützen muss?«, fragte Tobin.
»Nein, weil du das Reich vielleicht deinem Onkel oder deinem Vetter abringen musst.«
»Ein Krieg, meint Ihr? Aber ich dachte, der Lichtträger würde … ich weiß auch nicht …«
»Dir den Weg ebnen?« Iya bedachte ihn mit einem verkniffenen Lächeln. »Meiner Erfahrung zufolge erschaffen die Götter Gelegenheiten, aber es liegt an uns, sie zu ergreifen. Nichts ist gewiss.«
An jenem Abend erzählte sie ihm von der Vision, die sie vor seiner Geburt in Afra gehabt hatte. »Ich habe das Orakel seither wieder besucht, aber Illior hat mir nichts anderes gezeigt. Die Zukunft gleicht einem ausgefransten Seil, und wir müssen die einzelnen Stränge verknüpfen, so gut wir können.«
»Dann könnte ich also auch versagen?« Der Gedanke erfüllte Tobin mit Kälte.
Iya ergriff seine Hände. »Ja. Aber das darfst du nicht.«
Sie stachen am zwölften Dostin in See. Die Masten der Schiffe strotzten bunt vor Bannern und Zierkränzen. Korin reiste mit den Gefährten, seiner Garde und einem kleinen Haushalt von Bediensteten. Aliya begleiteten ihre Mutter und mehrere Tanten, Diener, zwei Drysier, Führer ihrer Hunde und Falken und ein tragbarer Fruchtbarkeitsschrein Dalnas.
Das Wetter war frostig, aber recht ruhig für eine Fahrt entlang der Küste, und fünf Tage später legte die kleine Flotte zunächst in Cirna an. Tobin war verzückt darüber, endlich seinen Besitz zu sehen, auf seine Weise so wichtig wie Atyion; andererseits verhieß die Reise dorthin auch, dass der gegenwärtige Vogt des Ortes sie begleitete. Fürst Niryn würde mit ihnen segeln und den Gastgeber spielen, wenn sie in der Feste eintrafen.
Niryn erwartete sie am Morgen des Aufbruchs an Bord und sah mehr wie ein Adeliger denn wie ein Zauberer aus. Unter einem mit Winterfuchs gesäumten Mantel trug er Gewänder aus dicker, mit Perlen besetzter Silberseide.
»Willkommen, meine Prinzen!«, rief er herzlich, als wäre er der Kapitän des Unterfangens.
Tobin musterte die kunstfertige Stickerei am Ärmel des Zauberers und achtete sorgsam darauf, an nichts anderes zu denken.
Das Dorf von Cirna bestand lediglich aus einer Gruppe schlichter Hütten über dem geschützten Hafen an der Ostseite der Landenge. Nichtsdestotrotz fiel ihre Begrüßung überschwänglich aus und gab das Muster für den Rest der Reise vor. Ein gut aussehender, schneidiger, junger künftiger König mit einer wunderschönen Gemahlin am Arm bot einen glücklichen Anblick; niemand au ßerhalb des Palatins wusste von seinem ersten Auftritt als Krieger.
Korin hielt eine kurze Ansprache, danach führte Niryn sie einen gefrorenen, bergauf und bergab verlaufenden Pfad entlang zur Feste, welche die Straße der Meerenge beherrschte. Sie erwies sich als beeindruckendes Bauwerk, und Tobin errötete beim Gedanken daran, wie leichtfertig er es hatte verschenken wollen. Sir Larenth wäre vermutlich eine schlechte Wahl als Herrscher über ein solches Bollwerk gewesen, dennoch hätte er ihn dem derzeitigen Vogt vorgezogen.
Die Feste ähnelte in keiner Weise Atyion. Sie war uralt, feucht, trist und kein Wohnsitz für Adelige, sondern eher eine Truppenunterkunft. Da
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