Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
weilte sie im Haus ihrer Mutter unter den wachsamen Augen der Drysier.
Tharin, der auf dem Ehrenplatz neben Tobin saß, sah sich wehmütig um. »So habe ich diesen Ort nicht mehr erlebt, seit wir Jungen gewesen sind.«
»Wir haben hier einige wunderbare Zeiten verbracht!«, meinte der König und stieß mit Tobin an. »Dein Großvater hat hervorragende Jagden veranstaltet – auf Hirsche, Bären und sogar Berglöwen! Ich freue mich schon auf den morgigen Ausritt.«
»Und für deinen Namenstag haben wir etwas Besonderes geplant«, meldete sich Korin zu Wort und tauschte ein Zwinkern mit seinem Vater.
Die Wärme und die Geselligkeit hoben Tobins Stimmung, und er nahm freudig an den Gesängen und Trinkspielen teil. Gegen Mitternacht war er fast so betrunken wie Korin. Umgeben von Freunden und Musik gelang es ihm beinah, die Prophezeiung und die Sorgen der Vergangenheit eine Weile zu vergessen; endlich war er der Herr dieses Hauses.
»Wir werden doch immer Freunde sein, oder?«, fragte er und stützte sich auf Korins Schulter.
»Freunde?«, entgegnete Korin lachend. »Eher Brüder. Ein Hoch auf meinen kleinen Bruder!«
Alle jubelten und schwenkten die Kelche. Tobin stimmte mit ein, doch das Gelächter erstarb ihm in der Kehle, als er zwei dunkle Schemen in einem schattigen Winkel der Spielmannsgalerie erblickte. Sie traten vor, ohne auf die Fiedler zu achten, die neben ihnen geigten; es waren Bruder und Mutter. Ihr Anblick ließ Tobins Blut gefrieren. Dies war nicht die freundliche Frau, die ihn schreiben und zeichnen gelehrt hatte. Die Augen in dem blutigen Gesicht loderten vor Hass, und sie hatte anklagend einen Finger erhoben. Dann verblassten beide Geister, allerdings erst, nachdem Tobin gesehen hatte, was sie unter dem Arm trug.
Später erinnerte er sich an kaum etwas, dass sich nach der Begebenheit auf dem Bankett zugetragen hatte. Nachdem der letzte Nachtisch beendet war, tat er kund, erschöpft zu sein, und eilte nach oben. Seine Reisetruhe war noch verschlossen, aber als er sich durch die Kittel und Hemden hinabwühlte, stellte er fest, dass die Puppe verschwunden war, wie er befürchtet hatte.
»Na schön. Ich bin sogar froh darüber!«, herrschte Tobin das verwaiste Zimmer an. »Bleibt ruhig hier zusammen, wie ihr es immer getan habt!« Er meinte seine Worte ernst und konnte nicht verstehen, weshalb ihm Tränen in die Augen traten und ihm die Sicht raubten.
K APITEL 44
Das Wetter blieb schön, und die Jagden verliefen gut. Jeden Tag ritten sie im Morgengrauen los, durchkämmten die Hügel und Dickichte und kehrten mit genug Hirschen, Bären, Waldhühnern und Kaninchen zurück, um ein ganzes Regiment zu verköstigen. Der König zeigte sich blendender Laune, und Tobin wusste mittlerweile, dass dies keine Selbstverständlichkeit darstellte.
Ohne Niryn, der jeden seiner Gedanken zu lesen, jede seiner Gesten zu deuten versuchte, fiel es Tobin leichter, sich zu entspannen.
Jeden Abend tranken und feierten sie, unterhalten von einer stets wechselnden Schauspielertruppe. Tobin mied den zweiten Stock und sah die Geister nicht noch einmal.
»Vielleicht sollten wir nach der Puppe suchen«, schlug Ki vor, als Tobin ihm letztlich erzählte, was geschehen war.
»Wo? Im Turm?«, gab Tobin zurück. »Der ist verriegelt, und der Schlüssel ist weg. Ich habe Nari bereits danach gefragt. Und selbst wenn nicht, ginge ich dort nicht mehr hinauf.«
Er hatte darüber nachgedacht, sogar davon geträumt, aber nichts auf der Welt würde ihn dazu bringen, sich je wieder jener Kammer oder jenem Fenster zu nähern.
Tobin verdrängte die Puppe aus den Gedanken, und Ki erwähnte sie auch nicht mehr. Mehr Sorgen bereitete ihm Lhel. Sie hatten sich mehrere Male davongestohlen, um in Richtung der Berge zu reiten, hatten jedoch weder ein Anzeichen auf Lhel noch auf Arkoniel entdeckt.
»Wahrscheinlich ist es so sicherer für sie, immerhin treibt sich diese riesige Menschenmenge überall in der Gegend herum«, meinte Ki, hörte sich jedoch genauso enttäuscht an, wie sich Tobin fühlte.
Am Morgen seines Namenstags sah Tobin, dass unmittelbar hinter den Truppenunterkünften ein neuer Pavillon errichtet worden war, fast genauso groß und aus bunt bemaltem Segeltuch mit Seidenbannern und knalligen Schleifen.
Als er sich danach erkundigte, antwortete Korin mit einem Zwinkern und Grinsen.
Beim Fest an jenem Abend wurde offenkundig, dass eine Verschwörung im Gange war. Während der Mahlzeit tuschelten und lachten Korin
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