Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
geschnittenen Zügen beobachtete seinen Widersacher mit unverhohlener Abneigung; ginge es nach Orun, würde sich Tobin die Gemächer mit ihm statt mit Ki teilen.
Als er sich umdrehte, um zu sehen, ob Ki Moriel bemerkt hatte, heftete sich ein Paar dunkler Augen auf ihn. Fürstin Una winkte ihm schüchtern zu. Ihre Aufmerksamkeit hatte Tobin schon immer Unbehagen bereitet. Nun, da ihm sein neues Geheimnis wie ein Splitter im Herzen saß, musste er rasch den Blick abwenden. Wie sollte er ihr je wieder gegenübertreten?
»Ah, da ist jemand froh, dich wieder zu Hause zu sehen«, meinte Caliel, der Tobins plötzliches Erröten falsch deutete.
»Kelcher, Mundschenk, einen Willkommenstrunk für meinen Vetter!«, rief Korin aus. Luchs brachte Tobin einen goldenen Kelch, und Garol, selbst nicht allzu nüchtern, kippte Wein hinein.
Korin beugte sich vor und blickte Tobin ins Gesicht. »Du scheinst dich gut von deiner Krankheit erholt zu haben. Dachtest, du hättest die Pest, wie?«
Korin war betrunkener, als er selbst glaubte, und stank nach Wein. Trotzdem fiel seine Begrüßung herzlich, wenngleich ein wenig lallend aus, und Tobin freute sich darüber.
»Ich wollte nicht, dass die Totenvögel den Palast vernageln«, erklärte er.
»Da wir über Vögel reden, dein Falke verzehrt sich nach dir«, rief Arengil den Tisch herab, wobei sein Aurënfaie-Akzent den Worten einen anmutigen Klang verlieh. »Ich habe sie in Form gehalten, aber sie vermisst ihren Herrn.«
Tobin hob den Kelch in die Richtung seines Freundes an.
Korin richtete sich wankend auf und klopfte mit einem Löffel gegen einen Teller voll Gänsegebeinen. Die Musik der Spielleute verstummte, die Gaukler huschten in den Hintergrund. Als Korin jedermanns Aufmerksamkeit hatte, erhob er den Kelch auf Tobin. »Lasst uns Trankopfer für meinen lieben Vetter darbringen, zu Ehren seines Namenstags.« Mit unsteter Hand kippte er die Hälfte des Inhalts seines Pokals auf das fleckige Tischtuch, dann trank er den Rest aus, während die anderen die erforderlichen Tropfen verschütteten. Schließlich wischte er sich mit dem Ärmel über den Mund und verkündete hochtrabend: »Zwölf Jahre alt ist mein Vetter, und zwölf Küsse soll er von jedem Mädchen am Tisch erhalten, um ihn dem Mannesalter näher zu bringen. Und einen zusätzlich für den Monat, der seither verstrichen ist. Du zuerst, Aliya.«
Es hatte keinen Sinn, dagegen aufzubegehren, denn Korin würde seinen Willen durchsetzen. Tobin versuchte, nicht zusammenzuzucken, als Aliya ihn umgarnte und das erforderliche Dutzend über sein Gesicht verteilte. Korin mochte seine eigene Meinung über sie haben, aber Tobin hatte sie schon immer als scharfzüngig und gemein empfunden. Für den letzten Kuss presste sie den Mund heftig auf den seinen, dann stolzierte sie lachend davon. Ein halbes Dutzend weiterer Mädchen drängte sich herbei, vermutlich mehr auf Korins Wohlwollen denn auf jenes Tobins bedacht. Als Una an die Reihe kam, streifte sie nur schüchtern, mit geschlossenen Augen seine Wange. Über ihre Schulter konnte Tobin sehen, wie der schwarzhaarige Alben mit Zusthra und Quirion lachte, sie sich unverkennbar an seiner Verlegenheit weideten.
Als die Tortur vorüber war, stellte Ki einen Holzteller mit Petersilbrot und eine Fingerschale vor ihm ab. Tobin sah, dass er die Lippen vor Zorn zu einer schmalen Linie zusammenpresste.
»Das war nur Spaß«, flüsterte Tobin, doch es war nicht das Küssen, das seinen Freund erzürnt hatte.
Mit nach wie vor finsterer Miene räumte Ki einen Teller vor Tobin ab. Einen Augenblick später hörte Tobin das Klirren von Geschirr und einen gedämpften Fluch von Ki. Als er sich umdrehte, sah er, dass Mago und Arius lachten, während Ki fettige Reste zurück auf den Teller wischte, den er fallen gelassen hatte. Aus dem Blick, den Ki den beiden zuschleuderte, schloss Tobin, dass sie keine Zeit damit verloren hatten, ihre alten Schliche wieder aufzunehmen.
Tobin hatte Mago nicht verziehen, dass er Ki zu einem Streit angestachelt hatte, der ihm eine Auspeitschung auf den Stufen des Tempels eingehandelt hatte. Er hatte sich halb aus dem Stuhl erhoben, als Korins Knappe Tanil neben ihn trat, um mehrere Scheiben gebratenes Lammfleisch auf seinen Holzteller zu laden.
»Ich kümmere mich um sie«, murmelte er.
Widerwillig sank Tobin auf den Stuhl zurück. Korin bemerkte wie üblich nichts. »Was wünschst du dir als Geschenk, Vetter?«, verlangte er zu erfahren. »Nenn, was immer du
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