Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
gehört, dass Orun den dunklen, hochmütigen Junge begünstigte.
»Das Anwesen gehört jetzt mir. Warum sollte ich nicht hinreisen? Korin hat gesagt, ich könnte.«
Orun grinste. »Vorausgesetzt, unser lieber Prinz erinnert sich noch an etwas, das er letzte Nacht gesagt hat. Aber gewiss habt Ihr nicht vor, Euch heute dorthin zu begeben, oder? Hört Euch nur diesen Regen an. Um diese Jahreszeit dauert er bestimmt mehrere Tage an. Mich würde nicht überraschen, wenn es bald zu frieren begänne.«
»Es ist nur ein Tagesritt …«
»So bald nach Eurer Krankheit, mein Lieber?« Orun schüttelte den Kopf. »Höchst unklug. Außerdem finde ich, Ihr hattet für eine Weile genug Abenteuer. Vielleicht, wenn Ihr kräftiger seid. Im Frühling ist Atyion ein bezaubernder Ort.«
»Im Frühling? Es ist das Haus meines Vaters. Mein Haus! Ich habe das Recht, mich dort aufzuhalten.«
Oruns Lächeln wurde breiter. »Ah, aber Ihr müsst verstehen, mein lieber Junge, dass Ihr noch überhaupt keine Rechte habt. Ihr seid nur ein Kind und untersteht meiner Obhut. Ihr müsst darauf vertrauen, dass ich entscheide, was am besten für Euch ist. Wie Euer geschätzter Onkel Euch gewiss bestätigen wird, liegt mir nur Euer Wohl am Herzen.
Immerhin steht Ihr an zweiter Stelle in der Thronfolge.« Er wandte sich wieder seinem Frühstück zu. »Vorläufig.«
Tobin fröstelte trotz der Hitze. Hinter jener Maske des Lächelns schäumte Orun immer noch vor Wut auf ihn. Dies war der Beginn seiner Bestrafung.
Zu eingeschüchtert und wütend, um zu sprechen, schritt Tobin mit der Absicht zur Tür, den Raum zu verlassen, unabhängig davon, was Orun sagen würde. Als er sie jedoch erreichte, schwang sie auf, und er stieß mit Bisir zusammen.
»Verzeiht, mein Prinz!« Tobin erkannte Mitleid in den Augen des jungen Mannes und stählte sich. Der Bote des Königs musste eingetroffen sein.
Stattdessen war es Niryn, der hereinkam.
Überrascht blinzelte Tobin zu dem großen Zauberer empor, dann füllte er seine Gedanken rasch mit seiner Wut auf Orun, stellte sich vor, wie sie sich gleich Rauch in einem geschlossenen Zimmer durch seinen Kopf kräuselte.
Regentropfen glitzerten im gegabelten, roten Bart des Zauberers, als er sich vor Tobin verneigte. »Guten Morgen, mein Prinz! Ich hatte gehofft, Euch hier anzutreffen. Wie schön, dass Ihr rechtzeitig für das Sakor-Fest zurückgekehrt seid. Wie ich höre, habt Ihr auch eine Zauberin mitgebracht?«
Seine Worte versetzten Tobin einen garstigen Stich. Hatte Niryn trotz allem in seinen Kopf geblickt, oder verfügte er über eigene Spitzel? »Frau Iya, eine Freundin meines Vaters«, antwortete er.
»Ja, ich erinnere mich an sie«, murmelte Niryn, als wäre dies von wenig Belang für ihn. Er zog eine Augenbraue hoch und wandte sich Orun zu. »Um diese Stunde noch im Bett, Fürst? Seid Ihr krank?«
Orun hievte sich von seiner Liegestatt und zog mit herrischer Entrüstung den Bademantel um sich. »Ich hatte keine offiziellen Besucher erwartet, Fürst Niryn. Der Prinz ist hier, um mich nach seiner Abwesenheit zu besuchen.«
»Ah ja, die geheimnisvolle Krankheit. Ich hoffe doch, Ihr habt Euch vollständig erholt, Hoheit?«
Tobin hätte schwören können, dass ihm der Zauberer zuzwinkerte. »Es geht mir sehr gut, danke.« Tobin erwartete jeden Augenblick, die schleichende Berührung des Mannes in seinem Geist zu spüren, doch Niryn schien weit eher bedacht darauf, Orun zu necken.
Dieser beäugte seinen unerwarteten Besucher argwöhnisch, dann bedeutete er ihm und Tobin, auf Sitzen am Kamin Platz zu nehmen. Beide Männer warteten, bis sich Tobin gesetzt hatte, bevor sie es ihm gleichtaten.
Dieser alte Heuchler, dachte Tobin. Nur wenn Beobachter in der Nähe waren, behandelte Orun ihn mit der geziemenden Höflichkeit.
»Der Prinz und ich erwarten einen Boten vom König«, sagte Orun.
»Und zufällig suche ich Euch heute in eben dieser Eigenschaft auf.« Niryn holte ein zusammengerolltes Pergament aus einem tiefen Ärmel hervor und breitete es über seinem Knie aus. Die schweren königlichen Siegel baumelten von Seidenbändern am unteren Rand. »Ich habe dies heute Morgen erhalten. Seine Majestät hat mich ersucht, es Euch persönlich zu überbringen.« Niryn blickte auf das Schriftstück hinab, aber Tobin wusste, dass er den Inhalt bereits kannte. »Seine Majestät beginnt damit, Euch dafür zu danken, dass Ihr Euch um seinen königlichen Neffen gekümmert habt.« Der Zauberer schaute zu Orun auf und
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