Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
Korin an seines Vaters statt den Sakor-Bullen mit einem einzigen Streich erlegte. Die Priester runzelten über die Eingeweide die Stirnen und sagten wenig, dennoch jubelten die Menschen erneut, als der junge Prinz das Schwert erhob und gelobte, dass seine Familie Skala verteidigen würde. Die Priester reichten ihm die geheiligte Feuerschale, die Tempelhörner erschollen, und die Stadt begann, sich wie durch Zauberei zu verdunkeln. Jenseits der Mauern, im Hafen und in den ferneren Behausungen, geschah dasselbe. In dieser längsten Nacht des Jahres wurde jede Flamme in Skala gelöscht, um den jährlichen Tod des Alten Sakor zu versinnbildlichen.
Die Gefährten leisteten Korin bei der Wache die ganze lange, kalte Nacht hindurch Gesellschaft, und im Morgengrauen halfen sie, das neue Feuer des Jahres zurück in die Stadt zu tragen.
Die nächsten beiden Tage verstrichen als Gewirr aus Bällen, Ritten und mitternächtlichen Feiern. Korin verkörperte den gefragtesten Gast in der Stadt; Kanzler Hylus und seine Schriftführer hatten eine Aufstellung von Häusern, Tempeln und Gildenhallen vorbereitet, in denen er und die Gefährten erscheinen mussten, in vielen gerade lange genug, um das Trankopfer zum neuen Jahr darzubringen.
Bald darauf setzte der wahre Winter ein. Regen verwandelte sich in Schneeregen, Schneeregen in nassen, schweren Schnee. Wolken überzogen den Himmel vom Meer bis zu den Bergen, und schon nach kurzer Zeit beschlich Tobin das Gefühl, er würde die Sonne nie wieder sehen.
Die berittenen Schlachtübungen und den morgendlichen Tempellauf behielt Meister Porion ungeachtet des Wetters bei, aber Schwertkampf und Bogenschießen wurden nach innen verlagert. Ihr Festsaal wurde geräumt, der kahle Boden mit Schießmarkierungen und Kampfringen gekennzeichnet. Das Klirren von Stahl erwies sich bisweilen als ohrenbetäubend, und jeder musste darauf achten, nicht zwischen den Bogenschützen und deren Zielen vorbeizugehen, doch ansonsten war es nicht unangenehm. Die anderen jungen Adeligen und die Mädchen des Hofes weilten wie üblich in der Nähe, sahen den Gefährten zu und übten selbst untereinander.
Una war an den meisten Tagen da, und Tobin bemerkte mit einem Anflug von Schuldgefühlen, dass sie ihn mit den Augen verfolgte. Seine Pflichten hatten ihn zu sehr beschäftigt, um sein Versprechen einzulösen – zumindest redete er sich dies ein. Jedes Mal, wenn er sie ansah, vermeinte er, ihre Lippen wieder auf den seinen zu spüren.
Ki lag ihm damit in den Ohren und fragte ihn des Öfteren, ob er Wort halten würde.
»Das werde ich«, gab Tobin stets zurück. »Ich habe bloß noch keine Zeit dafür gefunden.«
Der Winter brachte Veränderungen in ihrem Tagesablauf mit sich. Während der kalten Monate erhielten alle adeligen Jungen Unterricht von General Marnaryl, einem alten Krieger, der unter König Erius und zwei Königinnen davor gedient hatte. Seine heisere, krächzende Stimme – die Folge eines Hiebs gegen die Kehle im Zuge einer Schlacht – hatte ihm den Spitznamen ›der Rabe‹ eingebracht, doch er wurde stets mit größter Achtung ausgesprochen.
Er lehrte, indem er berühmte Gefechte schilderte; in vielen davon hatte er selbst gekämpft. Trotz seines Alters erwies sich der Unterricht des Raben als lebendig, zumal er seine Geschichten mit unterhaltsamen Anmerkungen über die Gewohnheiten und Eigenheiten der Menschen würzte, mit denen oder gegen die er gefochten hatte.
Außerdem veranschaulichte er seine Vorträge auf eine Weise, die Tobin bewunderte. Wenn er eine Schlacht beschrieb, kniete er sich auf den Boden und zeichnete das Schlachtfeld mit Kreide. Anschließend verwendete er bemalte Kiesel und Holzstücke, um die verschiedenen Streitkräfte darzustellen, die er mit der Elfenbeinspitze seines Gehstocks umherschob.
Einige der Jungen zappelten und gähnten während dieses Unterrichts, aber Tobin genoss ihn, zumal er ihn an die Stunden erinnerte, die er und sein Vater mit der Nachbildung von Ero verbracht hatten. Außerdem erfüllte es ihn mit geheimer Freude, wenn der Rabe über berühmte Generalinnen und Kriegerinnen sprach. Der alte Mann machte bei ihnen keinen Unterschied und hatte nur scharfe Blicke für diejenigen übrig, die kicherten.
Tobins Freund Arengil gehörte zu den adeligen Jungen, die sich den Gefährten beim Unterricht anschlossen, und seine Freundschaft mit Tobin und Ki vertiefte sich. Der Aurënfaie besaß einen wachen Verstand und Humor, zudem eine großartige
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