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Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin

Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin

Titel: Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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zurückschaute.
    »Hallo?« Eigentlich hätte er sich fürchten müssen, doch das tat er nicht. »Königin Tamír?«
    Er vermeinte, die kühle Berührung von Fingerspitzen auf der Wange zu fühlen, wenngleich es sich auch lediglich um einen verirrten Luftzug durch eines der zerbrochenen Fenster gehandelt haben konnte. Dann vernahm er ein weiteres Seufzen, diesmal klarer und unmittelbar zu seiner Rechten.
    Als er dem Geräusch mit den Augen folgte, fiel ihm ein länglicher, rechteckiger Fleck auf dem Boden neben dem Podium auf. Er war etwa drei Fuß lang und nicht breiter als seine Handfläche. Die rostigen Stumpen von Eisenbolzen und ein paar Brocken Steinwerk ließen noch erkennen, dass dort einst etwas gestanden hatte.
    Etwas. Tobins Herz vollführte einen Satz.
    Stell es wieder her …
    Die Stimme ertönte leise, doch nun konnte er den Geist spüren.
    Die Geister, berichtigte er sich in Gedanken, denn weitere Stimmen schlossen sich an. Frauenstimmen. »Stell es wieder her … Stell es wieder her …« Traurig und leise wie das Rauschen des Windes durch ferne Blätter.
    Immer noch fürchtete sich Tobin nicht. Dies war etwas völlig anderes als bei Bruder oder seiner Mutter. Hier fühlte er sich willkommen.
    Er kniete sich hin und berührte die Stelle, an der sich die goldene Tafel des Orakels befunden hatte.
    Solange eine Tochter der Linie des Thelátimos …
    Von Ghërilains Zeit an hatten die gemeißelten Worte der Tafel all die Jahre und Königinnen hindurch jedem, der sich diesem Thron näherte, verkündet, dass die Frau, die darauf saß, dies nach Illiors Willen tat.
    Stell es wieder her.
    »Ich weiß nicht, wie«, flüsterte er. »Ich weiß, dass es von mir erwartet wird, aber ich weiß nicht, was ich tun muss. Helft mir!«
    Die Geisterhand streichelte seine Wange erneut, zärtlich und deutlich.
    »Ich will es versuchen, das verspreche ich. Irgendwie. Ich schwöre es beim Schwert.«
     
    Tobin erzählte niemandem etwas von der Erfahrung, aber er verbrachte in jenem Winter immer mehr Zeit damit, in der Bibliothek zu lesen. Die Geschichte, die sich Arkoniel und sein Vater bemüht hatten, ihn zu lehren, wurde lebendig, als er Berichte aus erster Hand las, verfasst von Königinnen und Kriegerinnen, die bei den Ereignissen zugegen gewesen waren. Ki ließ sich von seiner Begeisterung anstecken, und so saßen sie oft bis spät in die Nacht beisammen und wechselten einander dabei ab, laut bei Kerzenlicht vorzulesen.
    Auch Rabes mit Kreide gezeichnete Schlachtfelder nahmen eine neue Bedeutung an. Wenn Tobin beobachtete, wie der alte General seine Kieselreitereien und Holzspanbogenschützen umherschob, begann er allmählich, den Sinn hinter den Formationen zu erkennen. Gelegentlich konnte er sich die Schlachten so bildlich vorstellen, als läse er Königin Ghërilains Berichte oder die Geschichten der Generalin Mylia.
    »Na kommt, irgendjemand muss doch eine Meinung haben!«, rief der alte Mann eines Tages aus und klopfte ungeduldig mit seinem Stock auf die Zeichnung, auf die er sich bezog. Sie zeigte ein großes, offenes Feld, an beiden Seiten gesäumt von gekrümmten Baumgürteln.
    Ohne nachzudenken, stand Tobin auf, um zu antworten. Bevor er es sich anders überlegen konnte, sahen ihn alle an.
    »Ihr habt eine Strategie, Hoheit?«, fragte Rabe und zog zweifelnd eine buschige Augenbraue hoch.
    »Ich – ich denke, ich würde meine Reiter im Schutz der Nacht in dem Hain an der Ostflanke verstecken …«
    »Ja? Und weiter?« Sein runzliges Gesicht verriet nichts.
    Tobin fuhr fort. »Und die Hälfte oder mehr meiner Bogenschützen hier drüben im Wald auf der anderen Seite.« Er setzte ab und dachte an eine Schlacht zurück, über die er vor einigen Tagen gelesen hatte. »Den Rest würde ich hier Pfähle aufstellen lassen und die Soldaten in Rängen dahinter postieren.« Er kam allmählich in Schwung, kauerte sich hin und deutete auf den schmalen Streifen offenen Geländes zwischen den Hainen, auf das von Skala gehaltene Ende des Feldes. »Von der feindlichen Seite aus sähe es wie eine dünne Front aus. Ich ließe meine Reiter die Pferde ruhig halten, sodass der Feind denken würde, er hätte es nur mit Fußsoldaten zu tun. Wahrscheinlich würde der Feind den ersten Angriff im Morgengrauen beginnen. Sobald dessen Reiterei zum Einsatz gebracht wäre, würde ich die meine losschicken, um sie vom Rest der Streitkräfte abzuschneiden, dann würde ich die versteckten Bogenschützen auf die feindlichen Fußsoldaten schießen

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