Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
ihnen gelebt!« Ranai umklammerte Arkoniels Hand fester. »Ich habe ihre Kinder geheilt, ihre Brunnen versüßt, ihnen Regen be schert. Wäre Iya in jener Nacht nicht bei mir gewesen …« Ein Hustenanfall würgte ihre Worte ab.
Iya tätschelte ihr sanft den Rücken. »Ich war gerade erst in Ylani eingetroffen und sah im Hafen das Banner der Spürhunde. Ich ahnte gerade noch rechtzeitig, was das zu bedeuten hatte, trotzdem wäre ich beinah zu spät gekommen. Die Hütte rings um sie brannte bereits lichterloh, und sie lag unter einem Balken gefangen.«
»Draußen standen Spürhundzauberer und hielten die Türen zu!«, krächzte Ranai. »Ich muss wahrlich alt geworden sein, wenn ein Pack solcher junger Schufte mich zu überwältigen vermag. Aber ach, was haben ihre Zauber geschmerzt! Es hat sich angefühlt, als trieben sie mir Nägel in die Augen. Ich war blind …« In gereiztem Tonfall ließ sie ihre Stimme verhallen und schien noch weiter zu schrumpfen, während Arkoniel sie beobachtete.
»Dem Licht sei Dank, dass sie stark genug war, die ärgsten Flammen abzuhalten, aber wie du siehst, hat die Anstrengung ihren Preis gefordert. Wir haben fast zwei Wochen hierher gebraucht. Das letzte Stück sind wir mit einem Müllerschlitten gefahren.«
Arkoniel strich über eine Mehlspur an Iyas Rock. »Das sehe ich.«
Nari war irgendwann verschwunden, doch nun kehrte sie mit Köchin zurück. Die beiden brachten heißen Tee und Essen für die Reisenden.
Ranai ließ sich mit einem gemurmelten Dank einen Becher reichen, war jedoch zu schwach, um ihn anzuheben. Iya half der greisen Frau, ihn an die Lippen zu setzen. Ranai gelang ein schlürfender Schluck, bevor ein weiterer Hustenanfall sie erfasste. Iya hielt sie fest, während der verschrumpelte Leib krampfhaft zuckte.
»Hol eine Feuerschale«, sagte Nari zu Köchin. »Ich bereite das Zimmer des Herzogs für sie vor.«
Iya half der alten Frau, einen weiteren Schluck zu trinken. »Sie ist nicht die Einzige, die vertrieben wurde. Erinnerst du dich an Virishan?«
»Die Strauchzauberin, die als Zauberer geborene Waisen aufnimmt?«
»Ja. Und erinnerst du dich auch an den jungen Geistvernebler, den sie bei sich hatte?«
»Eyoli?«
»Ja. Ich bin ihm vor ein paar Monaten unterwegs begegnet, und er hat mir erzählt, dass sie und ihre Mündel in die Berge nördlich von Ilear geflohen sind.«
»Das ist das Werk dieses Ungeheuers«, flüsterte Ranai eindringlich. »Dieser Natter in Weiß!«
»Fürst Niryn.«
»Fürst?« Die alte Frau raffte alle Kraft zusammen, um ins Feuer zu spucken. Die Flammen züngelten in einem zornigen Blau auf. »Der Sohn eines Gerbers war er, und bestenfalls ein mittelmäßiger Magier. Aber der Jungspund weiß, wie man Gift in das königliche Ohr träufelt. Er hat das ganze Land gegen uns aufgebracht, gegen seine eigene Art!«
»Ist es bereits so schlimm?«, fragte Arkoniel.
»Noch beschränkt es sich auf Einzelfälle in den abgelegeneren Ortschaften, aber der Wahnsinn greift um sich«, erwiderte Iya.
»Die Visionen …«, setzte Ranai an.
»Nicht hier«, fiel Iya ihr flüsternd ins Wort. »Arkoniel, hilf Nari, sie ins Bett zu schaffen.«
Ranai erwies sich als zu schwach, um die Treppe zu erklimmen, deshalb trug Arkoniel sie. Die Greisin fühlte sich in seinen Armen leicht und brüchig wie ein Bündel trockener Zweige an. Nari und Köchin hatten den muffigen, seit Langem leer stehenden Raum so behaglich gestaltet, wie sie konnten. Zwei Feuerschalen standen neben dem Bett, und jemand hatte Lebensodemblätter auf die Kohlen gelegt, um Ranais Husten zu lindern. Der durchdringende Duft erfüllte den Raum.
Als die Frauen Ranai bis auf das zerlumpte Unterhemd entkleideten und sie ins Bett legten, erhaschte Arkoniel einen flüchtigen Blick auf die alten Narben und die neuen Verbrennungen, die ihre welken Arme und Schultern überzogen. So schlimm sie sein mochten, er fand sie weniger besorgniserregend als die seltsame Erschöpfung ihrer Macht.
Als Ranai versorgt war, schickte Iya die anderen hinaus und zog sich einen Stuhl dicht an das Bett. »Hast du es gemütlich?«
Ranai flüsterte etwas, das Arkoniel nicht verstand. Iya runzelte die Stirn, dann nickte sie. »Na schön. Arkoniel, bitte hol den Beutel.«
»Er liegt gleich neben dir.« Iyas Reisebündel befand sich unübersehbar neben dem Stuhl seiner Meisterin.
»Nein, den Beutel, den ich bei dir gelassen habe.«
Arkoniel blinzelte, als er begriff, welchen sie meinte.
»Hol ihn, Arkoniel.
Weitere Kostenlose Bücher