Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
Fürst Niryn. Der König erwartet Euch unter Deck.«
Niryn sah sich um, während er Rheynaris folgte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Decks beobachtete ihn eine Schar jüngerer Adeliger mit augenscheinlicher Neugier. Einer von ihnen vollführte ein Schutzzeichen, als er glaubte, Niryn könnte ihn nicht sehen.
»Sagt, Rheynaris, wer ist dieser junge Bursche dort?«
»Der mit dem gelblichen Haar? Das ist Solaris ältester Sohn, Nevus. Er ist einer der neuen Kammerherren des Königs.«
Niryn runzelte die Stirn; davon hatte er noch nichts gehört. Fürst Solari war einer von Rhius' Gefolgsmännern gewesen.
»Wie geht es dem König?«, erkundigte sich Niryn, als sie sich außer Hörweite der anderen befanden.
»Er ist froh, zu Hause zu sein, würde ich sagen.« Rheynaris stockte, als sie sich der Kabine näherten. »Seit wir Mycena verlassen haben ist er – wankelmütiger. Es ist stets schlimmer, wenn er sich abseits des Schlachtfelds befindet.«
Niryn nickte zum Dank für die Warnung, und der General klopfte leise an die Tür.
»Herein!«, rief eine barsche Stimme.
Erius lag auf der schmalen Pritsche der Kabine zurückgelehnt und schrieb auf einem Schoßpult über seinen Knien. Der Zauberer wartete in respektvoller Haltung und lauschte dem emsigen Kratzen des Gänsekiels. Die Kabine wurde nicht beheizt; Niryn konnte seinen Atem in der Luft sehen, dennoch hatte Erius seinen Wappenrock wie ein gemeiner Soldat aufgeknöpft. Sein Haar und sein Bart waren grauer, fiel dem Zauberer auf, und sie umrahmten ein von Sorgen gezeichnetes Gesicht.
Mit einem flüssigen Schwung des Kiels beendete Erius seine Arbeit, stellte den Schreibtisch beiseite und schwenkte die Beine über die Kante der Pritsche. »Hallo, Niryn. Ihr habt keine Zeit vergeudet. Ich hatte nicht erwartet, Euch vor morgen Früh zu sehen.«
Der Zauberer verneigte sich. »Willkommen zu Hause, Majestät.«
Erius schob mit einem Fuß einen Stuhl in seine Richtung. »Setzt Euch und berichtet mir Neuigkeiten aus der Heimat.«
Niryn begann rasch mit allgemeinen Dingen, wobei er eine Seuchenwelle aus der jüngeren Vergangenheit verharmloste, die in mehreren nördlichen Städten die Bevölkerung erheblich vermindert hatte. »Der Hohepriester des Achis-Tempels wird wegen Hochverrats festgehalten«, fuhr er fort und wandte sich bedeutungsvolleren Angelegenheiten zu. »Es wurde bei mindestens drei Gelegenheiten gehört, wie er von dieser geheimnisvollen Königin sprach, die einige Priester nach wie vor in ihren Fieberträumen sehen.«
Erius runzelte die Stirn. »Ihr habt mir gesagt, das wäre alles erledigt.«
»Es sind nur Träume, mein König, geboren aus Furcht und Wunschdenken. Aber wie Ihr nur allzu gut wisst, Majestät, kann ein Traum gefährlich werden, wenn man ihm gestattet, in ahnungslosen Geistern zu wurzeln.«
»Dafür habe ich ja Euch, nicht wahr?« Erius hob einen Packen Pergamente vom Schreibtisch auf. »Kanzler Hylus berichtet mir von weiteren Toten durch Seuchen und von Ausfällen der Winterernte bis Elio und Gormad ins Landesinnere hinein. Kein Wunder, dass sich die Menschen für verflucht halten und von Königinnen träumen. Allmählich frage ich mich, wie viel vom Königreich ich noch hinterlassen können werde.« Sein linker Augenwinkel zuckte. »Ich habe die Tafel zerstört, die Säulen einreißen lassen, aber die Worte des Orakels sind nicht verblasst.«
Niryns Finger bewegten sich kaum, als er einen Beruhigungszauber wob. »Man mutmaßt allseits darüber, ob der Waffenstillstand halten wird. Was denkt Ihr, Majestät?«
Erius seufzte und rieb sich mit einer Hand über den Bart. »Es ist bestenfalls ein Waffenstillstand zugunsten der Bauern. Sobald die Plenimarer eine Ernte eingebracht und ihre Kornspeicher gefüllt haben, gehe ich davon aus, dass wir zurück über Mycena marschieren werden. In der Zwischenzeit sollten wir besser dasselbe tun. Diese verdammten Dürren sind ebenso sehr unser Feind wie die Armeen des Oberherrn. Abgesehen davon bedauere ich es nicht, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich freue mich auf Musik, anständiges Essen und darauf, erholsam zu schlafen, ohne mit einem Ohr ständig auf einen möglichen Alarm zu lauschen.« Er bedachte den Zauberer mit einem reuigen Lächeln. »Ich hätte nie gedacht, dass ich des Krieges überdrüssig werden könnte, mein Freund, aber die Wahrheit ist, dass ich froh über diesen Waffenstillstand bin. Allerdings vermute ich, auf meinen Sohn wird dies weniger zutreffen. Wie geht es
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