Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
Straße verlief durch eine Ebene auf das ferne Meer zu. Auf der Kuppe einer Erhebung zügelte Korin das Pferd und deutete mit dem Arm. »Da ist er, der feinste Landbesitz außerhalb von Ero.«
Tobin starrte mit geweiteten Augen hin. »Das gehört alles – mir?«
»O ja! Oder zumindest wird es das, wenn du volljährig bist.«
In der Ferne schmiegte sich eine große Ortschaft in die Biegung eines gewundenen Flusses, der sich in Richtung des Meeres schlängelte. Das Ackerland war mit winzigen Gehöften gesprenkelt und mit niedrigen Steinmauern durchzogen. Schafe und große Pferdeherden grasten auf einigen Anwesen, während andere Felder und knospende Weingärten umfassten.
Aber Tobin hatte nur Augen für die Ortschaft und das mächtige Schloss, das die Ebene am Fluss beherrschte. Hohe Umfassungsmauern aus Stein, durchsetzt von runden Bollwerken und Kragsteinen, überhangen von weitläufigen Dachwerken aus Stein und Holz, umschlossen die landwärtigen Seiten sowohl der Ortschaft als auch der Ebene. Das Bauwerk selbst war gedrungen und von zwei hohen Türmen aus rötlich braunem Stein geprägt. Es war beinah so groß wie der Neue Palast, deutlich stärker befestigt und ließ die Ortschaft daneben zwergenhaft wirken.
»Das ist Atyion?«, flüsterte Tobin ungläubig. Er hatte vom großen Wohlstand und Prunk des Ortes gehört, aber ohne etwas, womit er ihn vergleichen konnte, hatte er ihn lediglich für eine Art größere Feste gehalten.
»Ich hab dir ja gesagt, es ist groß«, meinte Ki.
Tharin schirmte die Augen ab und spähte mit zusammengekniffenen Augen auf die langen Banner, die an den Türmen und den Spitzdächern der Kragteile wehten. »Das sind nicht deine Farben.«
»Ich sehe auch die meines Vaters nicht«, sagte Korin. »Sieht so aus, als kommen wir doch noch rechtzeitig, um ihn willkommen zu heißen. Tobin, du übernimmst die Spitze und lässt die faulen Narren wissen, dass du nahst!«
Die Standartenträger galoppierten die schlammige, zerfurchte Straße entlang voraus, um sie anzukündigen. Die Gefährten folgten ihnen in flottem Trab. Die Bauern und Viehtreiber, denen sie begegneten, bejubelten ihr Herannahen. Als sie die Tore erreichten, hatte sich eine Menschenmenge eingefunden, um sie zu begrüßen. Tobins Banner war an dem hohen Mast über dem Tor angebracht, aber unmittelbar darunter hing ein anderes, eines, das er und Tharin erkannten – Solaris goldene Sonne auf einem grünen Feld. Allerdings war es nicht dasselbe. Die Vorrichtung oben am Standartenmast war nicht der Bronzering eines Fürsten, sondern der silberne Halbmond eines Herzogs.
»Sieht so aus, als hätte Vater bereits einen neuen Vogt für Atyion auserkoren«, meinte Korin.
»Und ihn gleich befördert«, fügte Tharin hinzu.
»Er war ein Gefolgsmann deines Vaters, nicht wahr?«, fragte Korin.
Tobin nickte.
»Tja, das ist eine Verbesserung gegenüber der letzten Wahl!«, rief Tharin aus. »Dein Vater würde sich freuen.«
Tobin war davon weniger überzeugt. Er hatte Solari zuletzt gesehen, als dieser mit den anderen zur Feste gekommen war, um seines Vaters Asche nach Hause zu bringen. Solari und Fürst Nyanis waren die Gefolgsleute gewesen, denen sein Vater am meisten vertraut hatte. Am Tag jedoch, als sich Solari von Tobin verabschiedet hatte, war Bruder erschienen und hatte von Verrat geflüstert.
Er hat seinem Hauptmann gesagt, er würde selbst binnen einen Jahres Herr über Atyion sein …
»Er ist jetzt der Herr über Atyion?«, fragte Tobin.
»Nein, das bist kraft Gesetz du«, versicherte ihm Tharin. »Aber Atyion braucht einen Vogt, bis du volljährig bist.«
Ausgelöst durch die Ankunft des Standartenträgers hatte sich auf dem Marktplatz jenseits des Tores eine noch größere Menge eingefunden. Hunderte Menschen drängten sich, um einen Blick auf Tobin zu erhaschen, wobei sie lachten und blaue Tücher durch die Luft schwenkten. Korin und die anderen ließen sich zurückfallen und Tobin die Spitze übernehmen. Das Gebrüll nahm einen Takt an; die Menge rief seinen Namen.
»To-bin! To-bin! To-bin!«
Verwundert sah er sich um, dann hob er die Hand zu einem zaghaften Winken. Der Jubel verdoppelte sich. Diese Menschen hatten ihn noch nie zuvor zu Gesicht bekommen, dennoch schienen sie ihn auf Anhieb zu erkennen und zu lieben.
Sein Herz schwoll vor einem Stolz an, den er noch nie verspürt hatte. Er zog das Schwert und salutierte damit vor der Menge, die sich vor ihm teilte, als Tharin eine gewundene,
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