Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
wänden in Ero gesehen hatte. Die Schwingen glichen jenen einer Fledermaus, waren jedoch beinah durchscheinend und schimmerten leicht wie das Innere einer Muschel.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es in Skala noch Drachen gibt«, sagte Arengil.
»Sie sind selten, aber diese kleinen findet man in der Gegend um Afra in den letzten Jahren immer häufiger. Der Lichtträger muss sie geschickt haben, um ihre neue Königin willkommen zu heißen.« Ralinus hob das kleine Geschöpf Tamír entgegen. »Möchtet Ihr ihn halten? Ich bin sicher, er kommt zu Euch, wenn Ihr Euch sehr ruhig verhaltet.«
Tamír streckte einen Finger aus. Der Drache duckte sich kurz auf jenem des Priesters, bleckte winzige Fänge und zog den schlangenartigen Hals zurück, als wolle er zustoßen. Die Augen glichen goldenen Stecknadelspitzen, und aus Schnauze und Kopf sprossen borstige Härchen, fein wie die Arbeit eines Goldschmieds. Tamír prägte sich jede Einzelheit ein und überlegte bereits, wie sie das Tier mit Wachs und Silber nachbilden könnte.
Sie hatte genug mit Falken geübt, um zu wissen, dass sie keine jähen Bewegungen vollführen und keine Angst zeigen durfte. Stattdessen schob sie den Finger langsam zu dem des Priesters vor. Der Drache zuckte unruhig mit den Flügeln, dann jedoch stieg er herüber und schlang den Schwanz um ihre Fingerkuppe. Die Klauen erwiesen sich als spitz wie Rosendornen. Sie hatte erwartet, dass der Körper glatt und kalt wie der einer Eidechse sein würde, aber tatsächlich spürte sie eine erstaunliche Wärme, wo der Bauch ihre Haut berührte.
Langsam bewegte sie die Hand, damit Wythnir das Geschöpf besser betrachten konnte. Sie hatte den Jungen noch nie so glücklich gesehen.
»Kann er Feuer speien?«, fragte er.
»Nein, erst, wenn er viel größer ist, vorausgesetzt, er überlebt. Die meisten der Kleinen tun es nicht, selbst in Aurënen nicht«, erklärte Solun.
»Diese Däumlingsdrachen sind kaum mehr als Eidechsen«, fügte Corruth hinzu. »Sie verändern sich, wenn sie wachsen, und werden dabei recht gefährlich. Einer unserer Vettern wurde letztes Jahr von einem Efir getötet.«
»Was ist ein Efir «, erkundigte sich Ki, den das kleine Wesen ebenfalls verzauberte.
»Ein junger Drache, der ungefähr die Größe eines Ponys hat. Ihr Geist ist noch nicht vollständig ausgebildet, aber sie sind sehr wild.«
»Der hier sieht ganz und gar nicht gefährlich aus.« Ki kicherte und beugte sich vor, um das Tier genauer zu betrachten. Vermutlich bewegte er sich dabei zu schnell, denn der Däumlingsdrachen stieß plötzlich vor und zwackte ihn dicht unter dem linken Auge in die Wange.
Ki zuckte mit einem Aufschrei zurück und riss die Hand ans Gesicht. »Verdammt, das brennt wie ein Schlangenbiss!«
Tamír verharrte reglos, doch der Drache versteifte sich, biss auch sie und flatterte in die Schatten davon, aus denen er gekommen war. »Au!«, stieß sie hervor und schüttelte den Finger. »Du hast Recht, das tut wirklich weh.«
»Haltet still, alle beide.« Corruth lachte. Der junge Bôkthersa holte ein Tonfläschchen aus seinem Gurtbeutel hervor und tupfte rasch etwas dunkle Flüssigkeit auf die beiden Bisswunden.
Der Schmerz ließ schlagartig nach, aber als er die überschüssige Flüssigkeit abwischte, sah Tamír, dass sie die winzigen Zahnabdrücke benetzt hatte. An der Seite ihres Fingers hatte sie vier dunkelblaue Flecken, einen weiteren unmittelbar hinter dem ersten Knöchel. Kis Wange wies ein ähnliches Mal auf, das bereits anschwoll.
»Wir passen zusammen«, bemerkte sie mit einem schiefen Lächeln.
Arengil schalt Corruth in ihrer Sprache, woraufhin der Junge errötete. »Verzeiht, ich habe nicht nachgedacht«, entschuldigte er sich verschämt. »Wir tun das immer.«
»Corruth hat es gut gemeint, aber ich fürchte, die Male sind jetzt dauerhaft«, erklärte Solun. » Lissik ist dafür gedacht, die Bisse einzufärben und für immer zu erhalten.« Er zeigte ein wesentlich größeres Mal zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. »Bei uns betrachtet man solche Bisse als großes Glück, als Zeichen für die Gunst des Lichtträgers. Aber vermutlich hättet Ihr lieber keinen gehabt.«
»Nein, das macht mir nichts aus«, versicherte ihm Tamír.
»Dich macht es ohnehin schöner, Ki.« Nikides lachte.
Ki polierte die Klinge seines Messers an seinem Hosenbein und hielt sie als Spiegel hoch, um die Verletzung zu begutachten. »So schlimm ist das nicht. Bietet Gelegenheit für eine gute Geschichte,
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