Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Vorstellung sei Erklärung genug gewesen. »Mein Vater, der König, ist tot. Ich bin jetzt König.« Mit der dreckigen Hand ergriff er die ihre und versuchte zu lächeln, doch es blieb bei einem erbärmlichen Versuch. Unablässig wanderte sein Blick auf das schillernde Geburtsmal, das sich wie vergossener Wein von ihrem Mund zur Schulter erstreckte. »Ich brauche eine Gemahlin. Ihr werdet die Erben Skalas gebären.«
Nalia lachte ihm ins Gesicht. Alles, was ihr zu sagen einfiel, war: »Und Niryn erhebt keine Einwände?« Ein Teil ihres armen, aufgewühlten Verstands konnte noch nicht begreifen, dass ihr Geliebter, ihr Beschützer, sie verraten hatte.
Korin runzelte die Stirn. »Fürst Niryn wurde von einer Prophezeiung dazu angeleitet, Euch zu beschützen und zu verstecken, auf dass Ihr dieses Schicksal erfüllen könnt.«
Aber er war mein Geliebter! Er hat mich unzählige Male mit in sein Bett genommen! Nalia wollte ihm die Worte ins Gesicht schleudern, da sie dies für den einzigen Weg hielt, sich vor einer solchen Schmach zu bewahren. Doch es drang nichts aus ihrem Mund, nicht einmal ein Flüstern. Eine eisige Taubheit erfasste ihre Lippen, breitete sich ihren Hals hinab auf ihr Herz und ihren Bauch aus, ehe sie sich wie eine Lache zwischen ihren Beinen sammelte, wo sie sich in ein kurzes, heißes Kribbeln verwandelte, wie es der Abschiedskuss eines Geliebten zu verursachen vermochte. Scharf sog sie die Luft ein und errötete, aber die Stille blieb. Sie war mit einem Bann belegt worden. Aber wie? Und von wem?
Korin, der ihre Absicht falsch verstand, hob ihre Hand an seine Lippen. Sein seidiger schwarzer Schnurrbart kitzelte ihre Haut so anders als Niryns kupferfarbener Bart. »Wir werden ordentlich vermählt werden, Fürstin. Ich werde Euch morgen mit einem Priester aufsuchen.«
»Morgen?«, brachte Nalia endlich hervor. Ihre Stimme gehörte wieder ihr, wenngleich sie leise ertönte. »So bald?«
»Dies sind ungewisse Zeiten. Später, wenn sich die Dinge beruhigt haben, können wir vielleicht eine richtige Hochzeit feiern. Vorerst zählt nur, dass unser Kind ehelich ist.«
Unser Kind. Sie sollte also lediglich als königliche Zuchtstute dienen. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben verspürte Nalia den Beginn wahren Zorns.
Euer Freund Niryn war öfter in meinem Bett, als ich zählen kann! Wie sehnte sie sich danach, es hinauszuschreien, doch erneut versiegelte jene eisige Taubheit ihre Lippen und verschlug ihr den Atem. Nalia drückte sich eine Hand an den nutzlosen Mund, während ihr Tränen der Wut und der Furcht über die Wangen rollten.
Korin bemerkte ihr Elend, und Nalia erkannte echte Besorgnis in jenen dunklen Augen. »Bitte, weint nicht, Fürstin. Ich weiß, das alles kommt sehr plötzlich.« Dann verdarb er den Augenblick, indem er aufstand und hinzufügte: »Es ist auch nicht meine Wahl, aber wir müssen an Skala denken.«
Nachdem sie wieder alleine war, zog sie sich die Decke über den Kopf und schluchzte. Sie hatte keine Familie, keine Beschützer, keine Freunde, an die sie sich wenden konnte.
Nalia weinte bis tief in die Nacht hinein, ehe sie auf dem nassen Kissen einschlief. Als sie im Morgengrauen erwachte, stellte sie fest, dass sie nach wie vor alleine war und keine Tränen mehr übrig hatte.
Sie ging zum Ostfenster und beobachtete, wie der Himmel über dem Inneren Meer heller wurde. Männer mit einem roten Falken auf der Brust schritten unten auf den Mauern auf und ab, während die echten Vögel dahinter in Freiheit durch die morgendliche Brise flogen.
Ich bin nie frei gewesen, erkannte sie. Es war alles ein Trugbild, und sie hatte sich als genügsame Närrin erwiesen. Der Zorn, den sie in der vergangenen Nacht empfunden hatte, kehrte zurück, diesmal noch stärker. Wenn sie niemanden hatte, an den sie sich um Hilfe wenden konnte, musste sie sich um sich selbst kümmern. Schließlich war sie kein Kind mehr. Und sie hatte genug davon, eine Närrin zu sein.
Vena und Alin war noch nicht gestattet worden, zu ihr zurückzukehren, deshalb kleidete sie sich alleine an und begab sich zum Schreibtisch. Wenn sie die Wahrheit dem Prinzen gegenüber nicht hinausschreien konnte, würde sie ihm einen Brief schreiben.
Doch wer immer sie verzaubert hatte, war überaus schlau gewesen. Bei jedem Versuch erstarrte ihre Hand über der Seite, und die Tinte im Kiel vertrocknete. Mit einem Aufschrei der Angst schleuderte Nalia die Feder von sich und wich vom Tisch zurück. Seit sie ein Kind gewesen war,
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