Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
hatte Niryn sie mit Geschichten über große Magie unterhalten, aber sie hatte noch nie etwas Mächtigeres bezeugt als die Kunststücke von Beschwörern bei Festlichkeiten. Was sie in diesem Augenblick erlebte, fühlte sich eher wie ein Fluch an. Sie versuchte erneut, die Worte auszusprechen, allein in der Stille ihres Zimmers. König Korin, ich bin nicht mehr unberührt. Doch abermals wollten sie nicht über ihre Lippen dringen. Nalia dachte an das Gefühl zurück, das über sie gekommen, durch ihren Körper geströmt war, als sie zum ersten Mal versucht hatte, ihm die Wahrheit zu gestehen.
»O Dalna!«, flüsterte sie und sank auf die Knie. Mit zitternden Fingern fasste sie unter ihr Nachthemd; dann entrang sich ihr ein verängstigtes Schluchzen. »Erschaffer, erbarm dich!«
Sie war in der Tat verflucht und wieder Jungfrau. Damals hatte sie zum ersten Mal an den Balkon und den tiefen Fall hinunter auf den Hof gedacht.
Ihre Amme und ihr Page waren nie zurückgekehrt. Stattdessen wurde ihr die runzlige, alte Tomara geschickt, um sie zu bedienen und ihr Gesellschaft zu leisten.
»Wo sind meine eigenen Bediensteten?«, verlangte Nalia wütend zu erfahren.
»Ich weiß nichts von irgendwelchen anderen Bediensteten, Hoheit«, erwiderte die betagte Frau. »Man hat mich aus dem Dorf geholt und mir aufgetragen, eine hehre Fürstin zu bedienen. Das habe ich zwar nicht mehr gemacht, seit meine Herrin vor Jahren gestorben ist, aber ich kann immer noch flicken und flechten. Kommt, lasst mich Euch das schöne Haar bürsten, ja?«
Tomara erwies sich als freundlich und geschickt, und es gab nichts an ihrem Gebaren, was Nalia nicht leiden konnte, dennoch vermisste sie ihre eigene Dienerschaft. Sie ließ das Ankleiden über sich ergehen, dann nahm sie ihren Platz am Fenster ein und versuchte zu erkennen, was unten vor sich ging.
Sie sah, dass es vor Reitern wimmelte, und hörte weitere auf der Straße jenseits der Mauern.
»Weißt du, was geschehen ist?«, fragte sie schließlich Tomara, da sie niemanden sonst zum Reden hatte.
»Ero ist gefallen, und ein Verräter versucht, Anspruch auf den Thron zu erheben, Hoheit«, antwortete Tomara und schaute dabei von einer Stickerei auf. Es schien sich um einen Brautschleier zu handeln.
»Weißt du, wer Fürst Niryn ist?«
»Aber ja. Er ist der Zauberer des Königs, Herrin.«
»Zauberer?« Einen Lidschlag lang vermeinte Nalia, ihr Herz hätte zu schlagen aufgehört. Ein Zauberer. Und obendrein mächtig genug, um einem König zu dienen.
»O ja! Er hat König Korin in Ero das Leben gerettet und ihn weggebracht, bevor die Plenimarer ihn gefangen nehmen konnten.«
Darüber dachte Nalia nach und ergänzte es um den ungepflegten Mann, der sie in der vergangenen Nacht besucht hatte. Er ist weggerannt, mein neuer König. Er hat die Stadt verloren und ist geflüchtet. Und ich bin das Beste, was er als Gemahlin bekommen kann!
Der verbitterte Gedanke war Balsam für ihr verwundetes Herz. Er verlieh ihr die Kraft, nicht zu brüllen und sich auf Niryn zu stürzen, als er später an jenem Vormittag kam, um sie zu dem Priester zu begleiten.
Ein richtiges Hochzeitskleid hatte Nalia nicht. Sie legte stattdessen das schönste Kleid an, das sie besaß, und den von Tomara hastig für sie gestickten Schleier. Nicht einmal ein ordentlicher Kranz war ihr vergönnt. Tomara brachte ihr einen schlichten Reif aus geflochtenem Weizen.
Auch prunkvoll herausgeputzte Diener oder Musikanten fehlten. Männer mit Schwertern geleiteten sie in die große Halle. Das durch die schmalen Fenster hereinströmende Licht der Mittagssonne ließ die Schatten nur noch länger wirken. Als sich ihre Augen an die Düsternis gewöhnten, stellte sie fest, dass die Hochzeitsgäste ausnahmslos aus Soldaten und Bediensteten bestanden. Der Dalna-Priester stand am Kamin, und bei ihm befanden sich einige junge Adelige, die Gefährten.
Ohne Vater, der für sie sprechen konnte, wurde Nalia von Niryn überreicht und hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen. Nachdem der Segen gesprochen worden war und Korin einen juwelenbesetzten Ring von seinem Finger gezogen und lose auf den ihren geschoben hatte, war sie verheiratet und die Königsgemahlin von Skala.
Während sie danach bei einer kargen Mahlzeit zusammensaßen, wurde sie den Gefährten vorgestellt. Fürst Caliel war groß, hellhaarig und besaß ein freundliches, wenngleich eher trauriges Gesicht. Fürst Lutha war noch kaum mehr als ein Junge, schlaksig und mit etwas schlichten
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