Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
blieb vorerst ein Gefährte, ließ sich jedoch zum königlichen Schriftführer ernennen, um den Briefwechsel und die Gesuche zu verwalten. Er würde die zahlreichen dafür erforderlichen Schreiber einsetzen und beaufsichtigen.
Auf Tamírs Anraten war einer der Ersten, die er dafür auswählte, der junge Bisir, den sie in Fürst Oruns Haushalt kennen gelernt hatte. Sie hatte weder seine Freundlichkeit vergessen, noch seine Gesellschaft in jenem Winter, als er mit ihnen in der Feste eingeschneit gewesen war.
»Ihr lasst mir eine große Ehre zuteil werden, Majestät!«, rief er, als er sich auf ihren Ruf hin am Hof meldete. Er war immer noch ein gut aussehender Bursche leiser Töne, und durch die Freundlichkeit, die er von ihr und von der Frau erfuhr, die in Atyion seine Ausbildung übernommen hatte, war endlich das gepeinigte Aussehen vertrieben worden.
»Die Zeit damals waren dunkle Tage für uns beide«, erinnerte sie ihn. »Du warst einer der wenigen, die sich mir gegenüber freundlich verhielten. Aber du hast auch viele der hinterhältigsten Fürsten unter Oruns Freunden gesehen. Ich verlasse mich auf dieses Wissen. Du sollst mich auf alle aufmerksam machen, die du erkennst, und mir alles über ihre Machenschaften mit meinem Vormund und meinem Onkel berichten.«
Bisir nickte ernst. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal dankbar für meine Dienste dort sein würde, Majestät. Es ist mir eine Ehre, Euch von Nutzen zu sein.«
Auch die Zauberer galt es zu berücksichtigen. Zahlreiche jener Adeligen, die nicht mit ihr in Ero gewesen waren, hegten nach wie vor ausgeprägtes Misstrauen gegen die Zauberer.
»Es ist wichtig, dass wir ebenso als deine Verbündeten betrachtet werden wie deine Generäle«, riet Iya. »Niryn hat einen schalen Geschmack in den Mündern der Menschen hinterlassen. Die Dritten Orëska müssen als getreu und über jeden Verdacht erhaben gelten.«
»Ich verlasse mich darauf, dass du gewährleisten wirst, dass dem auch so ist«, gab Tamír zurück.
Lytia hatte für die Zauberer im Westflügel gemütliche Gemächer mit Aussicht auf die schlosseigenen Gärten gefunden.
Tamír ließ es sich nicht nehmen, die Halle zu besuchen, in der die Zauberer übten. Man bereitete ihr einen herzlichen Empfang, vor allem die Kinder. Verzückt führten sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten vor, wirbelten fröhlich Eicheln und Löffel für sie in die Luft und zeigten ihr, wie sie ohne Feuerstein oder Holz Flammen zu entfachen vermochten.
Boten trafen fast täglich mit Mitteilungen aus Ortschaften entlang der Küste und den westlichen Hügeln ein. Die Ernten waren gut, und es hatten sich keine Seuchen ausgebreitet, nicht einmal während der Hundstage im Sommer. Zwar gab es immer noch zu viele leer stehende Dörfer und zu viele Waisen und Witwen auf den Straßen, doch Atyion verströmte ein neues Gefühl von Hoffnung.
Tamír teilte jene Hoffnung für das Land, wenngleich sie für sich selbst weniger Freude fand.
Ihre Freundschaft mit Ki war kein Geheimnis. Er weilte ständig an ihrer Seite und hatte das Zimmer neben dem ihren. Die anderen Gefährten waren im selben Gang untergebracht, doch keiner von ihnen beschwor solche Gerüchte herauf wie Ki. Eifersüchtige Höflinge flüsterten ›Wald- und Wiesenritter‹ und ›Günstling der Königin‹, wenn sie glaubten, Tamír könne sie nicht hören. Doch das tat sie, genau wie Ki. Er ertrug es geduldig, wollte jedoch nicht darüber reden, nicht einmal mit ihr. Stattdessen wurde er zunehmend vorsichtiger und verbrachte weniger Zeit mit ihr allein im Zimmer, erfand Ausreden, um Luchs und die anderen dabeizuhaben, und verließ sie, wenn die anderen es taten. Sie ritten zwar nach wie vor zusammen aus und übten gemeinsam Schwertkampf und Bogenschießen, aber das zarte Band der Hingezogenheit, das sie in jener letzten, gemeinsam verbrachten Nacht gespürt zu haben glaubte, schien zerbrochen zu sein. Allein in dem riesigen Bett, nur mit Baldus und der Katze als Gesellschaft, ertrug Tamír stumm die Albträume und Bruders Besuche, hin- und hergerissen zwischen Schmerz und Sorge um die Ehre ihres Freundes, zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten. Sie dachte sich nichts dabei; seit ihrer Kindheit hatte sie derlei Bürden allein getragen.
Der Schmerz allerdings wollte nicht weichen. Manchmal, wenn sie nicht schlafen konnte, erforschte sie unter der Decke verhalten mit den Händen ihren Körper, tastete mit zitternden Fingerspitzen dessen Wölbungen und Falten ab.
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