Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
berechnet haben, dürfte der Hauptgang des Mahles bereits verzehrt sein, wenn unsere Freunde in der Stadt die Waffen verteilen. Wenn die Glocke ertönt, wird Ehlana alle Gäste zur Nachspeise in die Burg bitten.«
»Sehr schlau, Sperber!« sagte Kalten bewundernd.
»Lob meine Frau, Kalten. Es war ihre Idee.«
»Sie ist wirklich großartig in solchen Dingen. Ich bin froh, daß sie sich entschlossen hat, mitzukommen!«
»Darüber bin ich geteilter Ansicht«, brummte Sperber.
Das Bankett nahm seinen Lauf. Dutzende von Trinksprüchen hallten über das Wasser, und die Gäste häuften Lob auf die Königin von Elenien. Da die Geladenen nicht die geringste Ahnung von dem bevorstehenden Höhepunkt des Abends hatten, mangelte es den Komplimenten nicht an unbeabsichtigter Ironie.
Sperber stocherte nur in seinem Essen herum und kostete es kaum. Seine Augen waren unentwegt auf die Kerzen gerichtet, und seine Ohren gespitzt, um ja den ersten Laut der Glocke zu vernehmen, die den Aufbruch der Feinde ankündigen würde.
Kaltens Appetit hingegen war ungebrochen.
»Wie kannst du dich bloß so vollstopfen?« fragte Sperber seinen Freund gereizt.
»Ich muß schließlich bei Kräften bleiben, Sperber. Bis die Nacht um ist, werde ich bestimmt eine Menge Kraft brauchen. Wenn du nicht zu beschäftigt bist, alter Junge, dann reich mir doch die Soße.«
Da begann von irgendwo in der Mitte der schimmernden, mondbeschienenen Stadt Matherion ein erster tiefer Glockenschlag die zweite Hälfte der Abendunterhaltung einzuläuten.
29
»Warum habt Ihr mich nicht eingeweiht, Ehlana?« fragte Sarabian zornig. Mühsam unterdrückte Wut lag auf des Kaisers Gesicht, und seine schwere goldene Krone saß schief auf dem Kopf.
»Beruhigt Euch, Sarabian«, bat ihn die blonde Königin. »Wir haben es selbst erst heute vormittag herausgefunden und hatten keine Möglichkeit, Euch die Information zuzuspielen, ohne zu riskieren, daß man sie abfängt.«
»Eure hüftenschwingende Baroneß hätte mir eine Nachricht bringen können!« sagte er vorwurfsvoll und hieb die Faust auf die Brustwehr. Sie standen auf dem Wehrgang und bewunderten scheinbar die Aussicht.
»Das geht auf meine Kappe, Majestät«, entschuldigte sich Sperber. »Ich habe die Verantwortung für die Sicherheit übernommen, und Minister Kolata ist das Oberhaupt der Polizei in Tamuli – sowohl der öffentlichen wie der, die hinter den Büschen lauscht. Wir konnten nicht sicher sein, daß unsere List mit der Baroneß nicht durchschaut worden war. Die Information war viel zu wichtig, als daß wir auch nur das geringste Risiko eingehen durften. Wir hatten erfahren, daß der Minister an der Verschwörung beteiligt ist. Dieser Anschlag auf das Schloß muß heute nacht wie geplant stattfinden. Wenn der Feind auch nur den geringsten Verdacht schöpft, daß wir von seinem Vorhaben wissen, wird er das Ganze auf einen anderen Tag verlegen – und wir würden nicht wissen, auf welchen.«
»Ich bin immer noch sehr verärgert über Euch«, beschwerte sich Sarabian. »Ich verstehe Eure Gründe, aber ich nehm's Euch übel.«
»Wir sind hier oben, um das Spiel der Lichter auf dem Wasser des Burggrabens zu bewundern, Sarabian«, erinnerte Ehlana den Kaiser. »Blickt doch wenigstens ab und zu über die Brustwehr.« Sie waren hier nicht nur ungestört, sondern hatten auch einen weiten Ausblick, so daß sie den heranstürmenden Mob früh erkennen würden.
»Kolatas Beteiligung ist wirklich außerordentlich beunruhigend«, meinte Sarabian sorgenvoll. »Er hat die Leitung über die Polizei, den Sicherheitsdienst des Schlosses und den gesamten Spitzeldienst des Imperiums! Und schlimmer noch, er hat auch eine gewisse Befehlsgewalt über die Ataner. Wenn wir ihre Unterstützung verlieren, haben wir ernste Probleme!«
»Engessa ist dabei, diese Verbindung zu kappen, Majestät«, erklärte Sperber. »Er hat Kuriere zu den atanischen Truppen vor der Stadt geschickt, um den Offizieren mitzuteilen, daß die Agenten des Innenministeriums keine Befugnisse mehr haben. Die Befehlshaber werden diese Botschaft an Androl und Betuana weiterleiten.«
»Sind wir hier denn sicher, falls Atan Engessas Kuriere abgefangen werden?«
»Ritter Bevier hat uns versichert, daß er diese Burg fünf Jahre halten kann«, beruhigte Ehlana den Kaiser, »und Bevier ist unser Fachmann für Belagerungen.«
»Und wenn die fünf Jahre zu Ende gehen?«
»Bis dahin werden längst die Ordensritter hier sein, Majestät«, versicherte Sperber.
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