Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
Feind von unseren Expeditionen erfahren haben! Wir können uns beim Kaiser entschuldigen, sobald die bevorstehende Abendunterhaltung vorüber ist.«
»Aber das ist wirklich zu auffällig, Sperber!« platzte Vanion heraus und deutete auf das schwere Stahlgitter, das Khalads Arbeiter an der Innenseite des Tors befestigten.
»Es wird nicht zu sehen sein, wenn das Tor ganz geöffnet ist, Vanion, und Khalad läßt Girlanden an das Gitter hängen, die es verbergen. Konnte Sephrenia sich mit Zalasta in Verbindung setzen?«
»Nein. Er ist offenbar noch zu weit weg.«
»Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn er hier wäre. Falls die Trollgötter sich heute nacht zu einem Auftritt entschließen, könnten wir in sehr ernste Schwierigkeiten geraten.«
»Aphrael kann sich der Trollgötter annehmen.«
»Nicht, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Und wenn die bekannt wird, würde meine teure Gemahlin noch so allerlei herausfinden, was sie besser nicht wüßte. Ich werde nicht das Risiko eingehen, daß Ehlana den Verstand verliert, nur um Sarabian den Thron zu erhalten.«
Die Sonne wanderte stetig gen Westen und näherte sich langsam, aber unaufhaltsam dem Horizont. Obwohl Sperber natürlich wußte, wie absurd es war, hatte er das Gefühl, daß die brennende Scheibe wie eine Sternschnuppe auf die Erde herabstürzte. Es gab noch so viel – so viele große und kleine Dinge – zu erledigen! Und das Schlimme war, daß sie mit einem Großteil der Arbeiten erst nach Sonnenuntergang anfangen konnten, sobald die hereinbrechende Dunkelheit sie vor den gewiß Hunderten beobachtender Augen verbarg.
Am frühen Abend kam Kalten in die königlichen Gemächer und meldete, daß alles erledigt war, was vor Einbruch der Nacht getan werden konnte. Sperber war erleichtert, daß sie ihren Zeitplan wenigstens soweit eingehalten hatten.
»War der Innenminister überhaupt von Nutzen?« fragte Ehlana. Sie saß in ihrem Sessel am Fenster und ließ die aufwendige Prozedur über sich ergehen, sich von Alean und Melidere ›das Haar richten‹ zu lassen.
»O ja, Majestät«, versicherte Kalten ihr mit einem breiten Grinsen. »Er war sogar noch bereitwilliger und gesprächiger als Euer Vetter Lycheas seinerzeit. Ulath verfügt über erstaunliche Überredungskünste, wenn er es darauf anlegt. Bei Kolata haben die Blutegel anscheinend den Ausschlag gegeben.«
»Blutegel?«
Kalten nickte. »Gleich nachdem Ulath sich erboten hatte, Kolata kopfüber in ein Faß voll Blutegel zu stecken, entwickelte der Innenminister dieses geradezu unstillbare Verlangen, uns alles mitzuteilen.«
»Großer Gott!« Die Königin schauderte.
Alle Gäste an diesem Abend waren einmütig der Ansicht, das Fest der Königin von Elenien sei das krönende Ereignis der Saison. Die bunten Lampions, welche die Perlmuttmauern beleuchteten, waren bezaubernd, die Tausende von Metern sehr teurer Seidengirlanden wirkten ungemein festlich, und das Orchester auf dem Wehrgang, das alte elenische Weisen spielte – nicht die mißtönenden Klänge, wie sie an Sarabians Hof üblich waren und die man nur als Kakophonie, nicht als Musik bezeichnen konnte –, verhalfen dem festlichen Ereignis zu einer angenehmen, harmonischen Stimmung. Die größte Begeisterung weckten allerdings die im Burggraben vertäuten Barken. Im Freien zu dinieren war Tamulern nie in den Sinn gekommen, und schwimmende Banketträume, von zahllosen Kerzen erhellt und dicht mit bunten Seidengirlanden behangen, gingen weit über die Phantasie der meisten Hofleute des Kaisers hinaus.
Die Kerzen bereiteten den Rittern größte Sorgen. Schon der Gedanke an offene Flammen, die den verborgenen Barkenladungen so nahe waren, ließ die stärksten Männer erbleichen.
Da das Fest vor den Mauern der elenischen Burg stattfand und die Gastgeberin Elenierin war, hatten die Damen des Kaiserhofs die schöpferischen Gaben jedes Schneiders in Matherion mit ihren Wünschen nach ›elenischer‹ Kleidung aufs höchste gefordert. Die Schöpfungen waren allerdings in den meisten Fällen nicht sehr geglückt, da die tamulischen Schneider sich ihre Anregungen aus Büchern holen mußten, die aus der Universitätsbibliothek stammten. Die in diesen nicht selten mehrere hundert Jahre alten Werken abgebildeten Gewänder waren geradezu schauderhaft altmodisch.
Ehlana und Melidere hingegen waren modisch gewandet und der bewunderte Mittelpunkt der Gesellschaft. Ehlana prunkte in einem königsblauen Gewand und einer mit Brillanten und Rubinen
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