Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
und gebot Stillschweigen.
Der Kaiser zuckte zusammen.
»Was habt Ihr, Sarabian?« fragte Mirtai.
»Ritter Ulath hat soeben mehrere Fliesen zerbrochen.«
»Wir können sie mit Knochenstückchen ersetzen«, beruhigte Mirtai ihn. »Bis der Tag zu Ende ist, werden hier genügend davon herumliegen.«
»Dürfte ich den Rat bitten, zur Ordnung zu kommen!« rief Pondia Subat.
Wieder schlug Ulath auf den Boden.
Sperber schaute sich im Thronsaal um. Alle saßen auf ihren Plätzen. Sephrenia, in ihrer weißen styrischen Robe, saß mit Prinzessin Danae und Caalador an einer Seite des Thronsaals, Xanetia, ebenfalls in Weiß, hatte mit Kalten und Berit auf der anderen Seite Platz genommen, und Melidere saß mit den neun Kaisergemahlinnen auf einer kleinen Galerie. Die kluge Baroneß hatte behutsam freundschaftliche Bande zu Cieronna geknüpft, Sarabians erster Gemahlin, die aus einer der angesehensten Familien Tamulis stammte und Mutter des Kronprinzen war. Diese Freundschaft war inzwischen so tief, daß Melidere in Begleitung der Kaiserinnen zu allen offiziellen Anlässen eingeladen wurde.
Diesmal diente ihre Anwesenheit jedoch einem ernsten Zweck. Sarabian hatte aus jedem der neun Königreiche eine Gemahlin, und es war durchaus möglich, daß einige von ihnen mit den Verschwörern gemeinsame Sache machten. Doch Sperber war fast sicher, daß die barbusige Valesianerin, Elysoun, keine politischen Interessen verfolgte, schon deshalb, weil sie gar keine Zeit dafür hatte. Gahenas, die teganische Gemahlin, eine durch und durch puritanische Dame, war vollkommen von ihrer persönlichen Tugend und ihrem standhaften Republikanismus erfüllt, so daß die Verschwörer vermutlich nie ihr Glück bei Gahenas versucht hatten. Torellia von Arjuna und Chacole von Cynesga dagegen kamen Sperber sehr verdächtig vor. Beide hatten gewissermaßen einen »persönlichen Hof« um sich geschart, zu dem viele Edle aus ihrer Heimat gehörten. Melidere hatte den Auftrag, auf diese beiden besonders zu achten, vor allem auf ungewöhnliche Reaktionen bei der Aufdeckung von Zalastas Doppelspiel.
Sperber seufzte. Es war alles so kompliziert! Freunde und Feinde sahen gleich aus. Auf längere Sicht betrachtet, würde Xanetias ungewöhnliche Gabe sich vermutlich als wertvoller erweisen als das Beistandsangebot einer ganzen Armee.
Vanion, der sich unauffällig zu den Rittern entlang der Wände gestellt hatte, griff nach seinem Visier, senkte es und hob es rasch wieder: Es war das Signal, daß alle ihre Mannen an Ort und Stelle waren. Stragen, der mit seinen Trompetern hinter dem Thronpodest stand, nickte bestätigend.
Dann beobachtete Sperber unauffällig Zalasta, den ahnungslosen Ehrengast. Der Styriker, dessen Augen verstört dreinblickten, saß unter den Ministern. Seine weiße Robe wirkte inmitten all der farbigen Seidenumhänge beinahe fehl am Platze. Ganz offensichtlich wußte Zalasta, daß etwas im Busch war; doch es war ebenso offensichtlich, daß er keine Ahnung hatte, um was es sich handelte. Das war doch wenigstens schon etwas. Zumindest schien niemand im inneren Kreis von den Verschwörern aufgestachelt worden zu sein. Verärgert schüttelte Sperber diesen Gedanken ab. Unter den gegebenen Umständen waren Wachsamkeit und ein bißchen Argwohn ganz normal – aber zuviel davon konnte in Verfolgungswahn ausarten. Sperber verzog das Gesicht. Noch ein solcher Tag, und er würde anfangen, sich selbst zu mißtrauen.
»Der Rat wird nun zur Ordnung gerufen!« erklärte Subat erneut.
Ulath zerschmetterte erneut ein paar Fliesen.
»Auf Befehl seiner Majestät, Kaiser Sarabian, wird der Rat zur Ordnung gerufen!«
»Großer Gott, Subat!« sagte Sarabian stöhnend und mehr zu sich selbst. »Soll Euretwegen der ganze Fußboden dran glauben?«
»Geehrte Anwesende – seine kaiserliche Majestät, Sarabian von Tamuli!«
Eine einzelne Fanfare schmetterte einen klaren Klang majestätisch anschwellender Töne. Dann stimmte eine zweite ein, die diesen Klang eine Oktave höher wiederholte, danach eine dritte eine weitere Oktave höher. Schließlich, in einem gewaltigen Crescendo, schlossen sich alle Musiker an und erfüllten den Saal mit klingendem Widerhall.
»Beeindruckend«, murmelte Sarabian. »Gehen wir jetzt rein?«
»Noch nicht«, hielt Ehlana ihn zurück. »Erst wenn die Musik sich ändert. Achtet auf meine Hand auf Eurem Arm. Laßt mich die Schrittfolge bestimmen. Und erschreckt nicht, wenn wir zu den Thronen kommen. Stragen hat eine ganze
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