Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
er soll sich in jenen Teilen meines Reiches, die er sich seit meiner Abreise abgezwackt hat, nicht zu häuslich einrichten. Sobald ich nach Hause komme, hole ich sie mir wieder zurück!«
»Macht sie so was immer, Sperber?« fragte Sarabian.
»O ja, ständig, Majestät. Der Erzprälat kaut jedesmal an den Fingernägeln, wenn eines ihrer Schreiben in der Basilika eintrifft.«
»Es hält ihn jung.« Ehlana erhob sich. »Und jetzt meine Freunde, werdet ihr meinen Gemahl und mich kurz entschuldigen müssen, denn wir möchten uns noch unter vier Augen voneinander verabschieden. Komm, Sperber!« befahl sie. »Jawohl, meine Königin.«
Der Morgennebel hatte sich aufgelöst und die Sonne schien hell, als ihr Schiff aus dem Hafen fuhr und einen Südostkurs einschlug, der es um die Südspitze der micaeischen Halbinsel und zur Insel Tega bringen würde. Das Schiff war sehr aufwendig ausgestattet, allerdings von leicht fremdartiger Bauweise. Khalad war nicht ganz damit zufrieden, er hatte einiges an der Takelung und der Neigung der Masten auszusetzen.
Gegen Mittag kam Vanion an Deck, um mit Sperber zu reden, der an der Reling lehnte und zur vorübergleitenden Küste blickte. Beide hatten ihre Rüstung abgelegt und trugen an Bord nun bequeme Reisekleidung.
»Sephrenia möchte, daß wir alle in die Hauptkajüte kommen«, erklärte der Hochmeister seinem Freund. »Es ist wieder einmal Zeit für eine dieser ebenso erstaunlichen wie überraschenden Offenbarungen, die wir alle lieben und schätzen gelernt haben. Wie wär's, wenn Ihr die anderen zusammentreibt und mit ihnen hinunterkommt?«
»Ihr seid sehr merkwürdiger Stimmung«, bemerkte Sperber. »Was ist los?«
»Sephrenia ist heute übertrieben styrisch.« Vanion zuckte die Schultern.
»Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Ihr wißt schon, was ich meine, Sperber – ihre geheimnisvolle Miene, ihre rätselhaften Bemerkungen und melodramatischen Pausen, ihre distanzierte Überlegenheit.«
»Habt ihr zwei euch gestritten?«
Vanion lachte. »So weit lassen wir es nie kommen, mein Freund. Es ist nur, daß wir alle unsere kleinen Schrullen und Eigenheiten haben, die den anderen manchmal ärgern. Und Sephrenia hat heute nun mal einen ihrer schrulligen Tage.«
»Ich werde ihr natürlich nicht verraten, daß Ihr das gesagt habt.«
Wieder zuckte Vanion die Schultern. »Sie weiß bereits, was ich davon halte. Wir haben es schon öfter diskutiert – ausführlich. Hin und wieder tut sie es nur, um mich zu necken. Holt die anderen, Sperber. Wir wollen ihr schließlich nicht zu viel Zeit geben, es noch besser einzustudieren.«
Sie versammelten sich alle in der Hauptkajüte unter Deck, einer großen Kabine, die halb Speise – halb Aufenthaltsraum war. Sephrenia war noch nicht erschienen, und nach einigen Augenblicken verstand Sperber, was Vanion gemeint hatte. Ein vertrauter Klang ertönte aus Sephrenias Kabine.
» Flöte? « rief Talen erstaunt, und seine Stimme überschlug sich wie bei allen Jungen, die im Stimmbruch sind.
Sperber hatte sich schon gefragt, wie Aphrael das heikle Problem umgehen würde, ihre Identität zu offenbaren. Sich den anderen als Prinzessin Danae zu zeigen, wäre natürlich nicht in Frage gekommen. Bei Flöte war es etwas ganz anderes. Alle Freunde Sperbers wußten, daß Flöte Aphrael war, und dies würde zeitraubende Erklärungen ersparen.
Sperber seufzte, als ihn ein melancholischer Gedanke beschlich. Betrüblich wurde ihm bewußt, daß er keine Ahnung hatte, wie seine Tochter wirklich aussah. Das liebe Gesichtchen, das sich ihm fast so tief wie Ehlanas Antlitz eingeprägt hatte, war nur eines aus einer langen Reihe von Inkarnationen – wahrscheinlich eines von mehr als tausend.
Endlich schwang die Tür von Sephrenias Kabine auf, und die zierliche Styrikerin trat hindurch, mit einem Lächeln, das an einen Sonnenaufgang erinnerte. Sie trug ihre kleine Schwester auf den Armen.
Flöte war natürlich unverändert – unveränderlich. Sie schien keinen Tag älter als sechs zu sein – genau das gleiche Alter wie Danae. Sperber wies sogleich die Möglichkeit eines Zufalls von sich. Wenn es um Aphrael ging, gab es keine Zufälle. Sie trug denselben kurzen Leinenkittel mit Gürtel und das aus Gras geflochtene Stirnband wie an dem Tag, als sie einander zum erstenmal begegnet waren. Auf ihren nackten Füßchen waren grüne Flecken. Sie hielt eine primitive Syrinx an die bogenförmigen Lippen und blies eine schwermütige styrische Weise.
»Was für ein
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