Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
Sperber ihren plötzlichen Entschluß beinahe spüren konnte – traf Sephrenia ihre Entscheidung. Ihr Gesicht, ihre Haltung, ihr ganzes Wesen sagten es lauter als Worte.
»Ulath«, brummte Kalten gereizt, »paß doch auf! Seit fast zwei Wochen bist du mit den Gedanken ganz woanders. Was lenkt dich denn so ab?«
»Mir gefallen die Berichte nicht, die wir von Atan bekommen haben.« Der hünenhafte Genidianer schob Prinzessin Danae, Rollo und Murr ein wenig auf seinem Schoß herum. Die kleine Prinzessin hatte zehn Tage lang das Bett hüten müssen. Heute war der erste Tag, an dem sie wieder unter ihnen weilte.
Danae war mit ihrem Lieblingsspiel beschäftigt – Schoßwechseln. Sperber wußte, daß seine Freunde es gar nicht so sehr beachteten und von selbst auf Danaes beinahe unmerkliche Aufforderung reagierten, sie hochzuheben und in den Armen zu halten. Tatsächlich war es für Aphrael eine ernste Sache, sich mit Plüschbär und Katze von einem Schoß zum nächsten zu begeben, um die Verbindung mit jenen wie derherzustellen, die ihr während ihrer Krankheit möglicherweise entglitten waren. Wie immer küßte sie jeden, doch diese Küsse waren nicht wirklich die spontanen kleinen Zeichen der Zuneigung, die sie zu sein schienen. Mit einer Berührung vermochte Aphrael die Absicht und Stimmung eines Menschen zu ändern. Mit einem Kuß jedoch konnte sie Besitz von seinem Herzen und seiner Seele ergreifen. Wann immer Sperber einen Wortwechsel mit seiner Tochter hatte, achtete er sorgfältig darauf, daß sich zumindest ein Möbelstück zwischen ihnen befand.
»Die Dinge verlaufen anders, als ich erwartet hatte«, sagte Ulath düster. »Die Trolle lernen, Deckung vor Pfeilen und Armbrustbolzen zu suchen.«
»Selbst ein Troll lernt irgendwann einmal aus seiner Erfahrung«, warf Talen ein. Er hatte sich offenbar von seinem Sturz aus dem Ahorn vollkommen erholt, klagte jedoch hin und wieder noch über Kopfschmerzen.
»Nein!« widersprach Ulath. »Das ist es ja gerade. Trolle lernen nicht! Weder aus Erfahrung noch sonstwie. Vielleicht liegt es daran, daß ihre Götter nicht lernen – oder nicht lernen können. Die Trolle, die heute existieren, wissen genau das, was der erste Troll wußte, der je gelebt hat – nicht mehr und nicht weniger. Cyrgon beeinflußt sie irgendwie. Falls er die Trolle so verändert, daß sie lernen können, gerät die Menschheit in große Schwierigkeiten!«
»Das ist doch nicht alles, Ulath, oder?« fragte Bevier scharfsichtig. »Du hast schon seit ein paar Tagen deinen ›theologischen Gesichtsausdruck‹. Du schlägst dich mit einem moralischen Dilemma herum, nicht wahr?«
Ulath seufzte. »Es wird zwar jeden aus der Fassung bringen, aber ehe man sofort in die Luft geht, sollte man erst seine Vorteile bedenken.«
»Das klingt nicht gerade beruhigend, alter Junge«, murmelte Stragen. »Bringt es uns lieber schonend bei.«
»Ich glaube nicht, daß das möglich ist, Stragen. Betuanas Botschaften werden immer dringender. Die Trolle verschanzen sich im Wald. Die berittenen Ataner kommen mit den Lanzen nicht an sie heran, und Armbrustbolzen dringen in mehr Bäume als Trolle ein. Die Trolle entzünden jetzt sogar schon Grasfeuer, um sich im Rauch zu verbergen. Betuana ist nahe daran, ihre Krieger heimzurufen, und ohne die Ataner haben wir keine Streitkräfte mehr.«
»Ritter Ulath«, warf Oscagne ein, »ich vermute, daß diese düstere Einleitung uns gegen einen sehr unerquicklichen Vorschlag wappnen soll. Ich glaube, das habt Ihr erreicht. Also, heraus damit!«
»Wir müssen Cyrgon die Trolle wegnehmen.« Ulath kraulte Murr abwesend hinter den Ohren. »Wir dürfen nicht zulassen, daß er damit weitermacht, sie taktische Vorgehensweisen zu lehren, und mögen sie noch so primitiv sein. Und auf gar keinen Fall wollen wir, daß sie weiterhin zusammenarbeiten, wie in letzter Zeit.«
»Und wie genau wollt Ihr einem Gott diese vollkommen unkontrollierbaren Ungeheuer entreißen?« fragte Stragen.
»Oh, nicht ich, und auch nicht wir. Ich denke eher daran, daß ihre eigenen Götter das übernehmen sollen. Die Trollgötter sind schließlich erreichbar. Ghwerig hat sie in den Bhelliom gesperrt, und Sperber trägt Bhelliom unter seinem Kittel. Ich könnte mir vorstellen, daß Khwaj und die anderen so gut wie alles für uns tun würden, wenn wir ihnen die Freiheit versprächen.«
»Seid Ihr wahnsinnig?« rief Stragen entsetzt. »Wir dürfen sie nicht freilassen! Das ist undenkbar!« Er ließ die zwei
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