Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
Donnerknall hallte erschreckend von den marmorverkleideten Wänden wider. Sephrenia starrte Vanion mit plötzlicher Ehrfurcht an.
Von einer lautlosen Stimme aufgefordert, die nur Sperber zu hören vermochte, hob er die glühende Saphirrose in die Höhe.
»Erschauet Bhelliom!« rief er, »und vernehmt seine gewaltige Stimme!
Hört meine Worte, ihr Tausend von Styrikum!« Die Stimme, die aus der ungeheuren Gestalt erschallte, die kurz zuvor noch Vanion gewesen war, klang wie Donner. Es war eine Stimme, der Berge lauschen und die zu hören Wellen und Wasserfälle verharren lassen würden. »Ich will mit euren Göttern sprechen. Zu klein und unbedeutend seid ihr, und eurem endlosen Geschwätz zu sehr zugetan, als daß ihr fähig wärt, euch dieser Sache zu widmen!«
Sperber wand sich. Diplomatie gehörte nicht zu Bhellioms starken Seiten.
Einer der weißgewandeten Ratgeber richtete sich hoch auf und entrüstete sich: »Das ist ungeheuerlich! Wir müssen uns nicht…« Plötzlich war er verschwunden, und an seiner Statt erschien eine verwirrt aussehende Wesenheit, die offenbar mitten beim Baden gestört worden war. Wasser rann von ihrer Blöße, und sie starrte offenen Mundes auf die gigantische, blauglühende Gestalt und den flammenden Saphir in Sperbers Hand. »Also wirklich …!«
»Setras!« erschallte die Donnerstimme scharf. »Wie sehr liebst du deine Base Aphrael?«
»Das ist über die Maßen ungehörig!« protestierte der sehr jugendlich wirkende Gott.
»Wie sehr?« wiederholte die Stimme unerbittlich.
»Ich liebe sie zutiefst und finde sie ungemein anbetungswürdig. Das tun wir alle, aber…«
»Was würdest du geben, um ihr Leben zu retten?«
»Alles, worum sie bittet, selbstverständlich. Aber wie sollte ihr Leben in Gefahr sein?«
»Du weißt natürlich, daß Zalasta von Styrikum ein Verräter ist, nicht wahr?«
Die Ratsmitglieder hielten erschrocken den Atem an.
»Aphrael hat es erzählt«, antwortete der Gott, »aber wir nahmen an, sie hätte wieder ein bißchen übertrieben. Ihr wißt ja, wie sie manchmal ist.«
»Sie hat die Wahrheit gesagt, Setras! Während wir hier harren, metzeln Zalastas Henkersknechte ihre Anbeter im fernen Eosien nieder. Mit jedem Tod schwinden ihre Kräfte. Schreiten wir nicht hurtig dagegen ein, ist Aphrael der Tod gewiß!«
Der Gott Setras straffte die Schultern, und plötzlich flammten seine Augen. »Ungeheuerlich!«
»Was bist du zu geben bereit, auf daß sie weiterhin am Leben bleibt?«
»Mein eigen Leben, falls nötig«, versicherte Setras.
»Bist du bereit, ihr deine Anbeter zu leihen?«
Setras starrte entsetzt auf den glühenden Bhelliom.
»Rasch, Setras! Aphraels Leben schwindet dahin!«
Der Gott holte tief Atem. »Gibt es keine andere Möglichkeit?« fragte er bedrückt.
»Keine. Nur Liebe hält die Kindgöttin am Leben. Gib ihr eine Weile die Liebe deiner Kinder, auf daß ihre Kräfte zurückkehren.«
Setras richtete sich hoch auf. »Das werde ich!« rief er. »Obgleich es mir das Herz zerreißt.« Feste Entschlossenheit lag auf dem göttlichen Antlitz. »Und ich versichere dir, Weltenmacher, meine werden nicht die einzigen Kinder sein, die das Leben unserer geliebten Base erhalten. Alle werden wir gleichermaßen dazu beitragen.«
»So sei es!« donnerte Bhelliom.
»Aber«, fragte Setras nach kurzem Nachdenken sichtlich besorgt. »Aphrael wird sie uns doch wieder zurückgeben, nicht wahr?«
»Ganz gewiß, göttlicher Setras«, versprach Sephrenia lächelnd.
Der Jüngere Gott wirkte sehr erleichtert. Plötzlich kniff er die Augen zusammen. »Anakha«, sagte er scharf.
»Ja, Göttlicher?«
»Es müssen Maßnahmen getroffen werden, Aphraels übrige Kinder zu beschützen. Wie ist das zu bewerkstelligen?«
»Weist sie an, sich zu den Ordenshäusern der Ritter der Kirche von Chyrellos zu begeben«, antwortete Sperber. »Dort werden sie Schutz finden.«
»Und wer befehligt diese Ritter?«
»Erzprälat Dolmant, nehme ich an«, antwortete Sperber. »Er ist die höchste geistige Obrigkeit.«
»Ich werde mit ihm sprechen. Wo finde ich ihn?«
»Er dürfte in der Basilika von Chyrellos sein.«
»Dann werde ich mich dorthin begeben und mich ihm in dieser Angelegenheit offenbaren.«
Sperber schluckte, als er an die theologischen Verwicklungen dachte, die Setras' Entschluß nach sich ziehen würde. Dabei blickte er unwillkürlich in Sephrenias Gesicht. Sie beobachtete Vanion noch immer mit einer gewissen Hochachtung. Dann – so offensichtlich, daß
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