Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tamuli 2 - Das leuchtende Volk

Tamuli 2 - Das leuchtende Volk

Titel: Tamuli 2 - Das leuchtende Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
Vom Netzwerk:
hatte mit einer simplen Erfindung, die er sich in seiner Werkstatt ausgedacht hatte, ein Vermögen gemacht. Für die meisten Menschen sind Goldmünzen Geld – Gegenstände von großem und unveränderlichem Wert. Einige jedoch erkennen, daß der Wert einer Münze davon abhängt, was ihr laut Regierungsbeschluß eingeprägt ist. Diese eingravierte Zahl – und damit der Wert der Münze – bleibt erhalten, selbst wenn mit einer Feile oder einem scharfen Messer von ihrem Rand gleichmäßig ein klein wenig abgeschabt wurde. Die unendlich winzigen Späne reinen Goldes, die man dadurch bekommt, sind kaum der Rede wert, wenn man lediglich den Rand einer einzigen Münze unmerklich abschabt. Bearbeitet man auf diese Weise jedoch tausend Münzen, sieht die Sache schon ganz anders aus. Manche Regierungen versuchen solche Eingriffe zu verhindern, indem sie den Rand der Münzen bei der Prägung riffeln. Eine geriffelte Münze hat regelmäßige fortlaufende Kerben. Würde man daran herumfeilen oder schaben, wäre es sofort ersichtlich. Melideres erfindungsreicher Vater hatte eine Möglichkeit gefunden, dieses Problem zu umgehen und einen Satz Schneideisen zur Neuriffelung angefertigt, ein Eisen für jede Münzgröße. Ein einfacher Schmied bekommt sein Leben lang nicht genügend Münzen in die Hand, daß die Mühe sich lohnen würde, solche Schneideisen herzustellen. Doch Melideres Vater war ein Genie. Er schmiedete diese Schneideisen nicht, um sie selbst zu verwenden, doch ebensowenig verkaufte er sie. Er vermietete sie mitsamt den Diensten gutausgebildeter Gesellen und nahm dafür einen Prozentsatz des Gewinns.
    Melidere lächelte. Sie war überzeugt, daß in ganz Eosien sehr wenige Goldmünzen ihr ursprüngliches Gewicht besaßen, und sie wußte, daß fünf Prozent des Unterschieds zwischen Nennwert und wahrem Wert als Barren in der geheimen Schatzkammer im Keller ihres Landhauses bei Cardos gestapelt waren. Sobald sie Stragen wissen ließ, daß sie eine größere und erfolgreichere Diebin war als er, würde alles übrige leicht sein. Stragens Respekt, was ihre aristokratische Herkunft betraf, würde bestimmt so etwas wie fast ehrfürchtigem Staunen über ihre Fähigkeiten weichen, die Gesetze zu übertreten. Sie konnte ihm sogar den Ursprung ihres Reichtums zeigen, denn sie trug das kostbarste Andenken ihrer Kindheit – die Originalschneideisen ihres Vaters – stets bei sich. Auch jetzt lagen sie in der mit Samt ausgekleideten Rosenholzschatulle auf Melideres Frisiertisch: polierte Stahljuwelen, kostbarer als Brillanten.
    Während ihr bewußt wurde, daß sie die Mittel zur Hand hatte, Stragen zu heiraten, erkannte sie zugleich, daß sie ihre Entscheidung bereits getroffen hatte. Sie würde ihn heiraten. Gleich beim nächsten Mal, wenn sie ihn sah, würde sie dieses Zeichen geben und kein anderes.
    Dann fiel ihr noch etwas ein. Die Unternehmungen ihres Vaters waren auf den eosischen Kontinent beschränkt gewesen. Ganz Tamuli war überschwemmt von noch unberührten Münzen, die nur darauf warteten, Feile und Messer kennenzulernen. Sobald Stragen das erkannte, würde er nicht zum Traualtar schreiten , sondern rennen .
    Melidere griff lächelnd nach ihrer Haarbürste und summte vor sich hin, während sie ihr langes honigblondes Haar bürstete. Wie jedes vernünftige elenische Mädchen war sie das Problem logisch angegangen, und wie fast immer hatte auch diesmal die Logik den Sieg davongetragen. Logik war angenehm und beruhigend, vor allem, wenn die Gesetze – auch die der Moral – aus dem Spiel blieben.
    »Halt! Wartet!« flüsterte Stragen, als sie die breite Treppe zum dritten Stock hinuntersteigen wollten. »Dort unten ist noch jemand!«
    »Was will er so spät hier?« fragte Mirtai leise. »Alle anderen sind doch schon vor Stunden heimgegangen!«
    »Wir könnten ihn fragen«, murmelte Caalador.
    »Red keinen Unsinn. Ist es einer der Wächter?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Stragen. »Ich habe ihn selbst nicht gesehen, nur das Flackern einer Kerze. Jemand da unten hat eine Tür geöffnet.«
    »Vielleicht irgendein kleiner Untergebener, der mit seiner Arbeit nicht fertig geworden ist.« Caalador zuckte die Schultern.
    »Was jetzt?« fragte Mirtai.
    »Wir warten.« Caalador setzte sich auf die oberste Stufe.
    Stragen überlegte. »Bleibt ihr zwei hier«, schlug er vor, »ich sehe nach. Wenn es so ausschaut, als wollte er die Nacht hier verbringen, hätte es wenig Sinn, wenn wir bis zum Morgen auf dieser Treppe

Weitere Kostenlose Bücher