Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
selbst gebt.«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es sicherer ist, sich nicht auf eine Frau festzulegen.«
»Aber langweilig, mein Freund. Von Leidenschaft für nur eine Person verzehrt zu werden, ist ungemein aufregend. Es ist vielleicht mit einem Leben in einem Vulkankrater vergleichbar.«
»Wie anstrengend!« Er schüttelte sich.
»Aber vergnüglich!« entgegnete sie lächelnd.
Baroneß Melidere hatte sich schon früh zurückgezogen und das mit starken Kopfschmerzen begründet. Es lag keineswegs daran, daß sie ihre Pflichten als Ehlanas Hofdame zu anstrengend fand; der Grund war, daß sie endlich eine wichtige Entscheidung treffen mußte. Denn je länger sie damit wartete, desto schwerer würde es ihr fallen. Die Baroneß hatte den Punkt erreicht, an dem sie sich klarwerden mußte, wie es mit Stragen weitergehen sollte.
Melidere war weder unschuldig noch naiv. Das sind Hofdamen selten. Ein unberührtes Mädchen hat nur eine Wahl, wenn es um eine Beziehung mit einem Mann geht. Ein erfahreneres Mädchen hat zwei, und das war die Crux von Melideres Dilemma. Natürlich würde Stragen einen durchaus akzeptablen Liebhaber abgeben. Er war vorzeigbar, interessant und besaß ausgezeichnete Manieren. Eine Liaison mit ihm würde Melideres Ruf am Hof nicht schaden – ganz im Gegenteil. Das war ursprünglich sogar ihre Absicht gewesen. Nun war die Zeit gekommen, den entscheidenden Schritt zu wagen und Stragen in ihr Schlafgemach zu bitten. Sie konnte die Liaison kurz gestalten, konnte sie aber auch ausdehnen und jedesmal erneuern, wenn Stragen Cimmura besuchte. Das würde der Affäre eine gewisse Form geben und beiden die Freiheit lassen, anderen Vergnügungen nachzugehen, wie in solchen Situationen üblich. Doch Melidere war sich nicht sicher, ob das wirklich alles war, was sie wollte. In letzter Zeit hatte sie immer öfter eine dauerhaftere Beziehung in Erwägung gezogen. Und darin lag das Dilemma.
Für Herzensdinge gibt es einen Rhythmus, ja, beinahe so etwas wie Gezeiten. Wenn die Flut ihren höchsten Stand erreicht, muß die Dame ihrem Erwählten gewisse Zeichen geben. Eines dieser Zeichen weist zum Schlafgemach, das andere zum Traualtar. Melidere konnte es nicht länger aufschieben. Sie mußte sich für eines der beiden Zeichen entscheiden.
Stragen faszinierte sie. Eine geheimnisvolle Aura aufregender Gefahr umgab ihn, und Melidere, eingeengt von den Ritualen höfischen Lebens, fühlte sich davon angezogen. Es konnte berauschend sein, ja, süchtig machen. Aber wie sollte sie wissen, ob diese Erregung nicht mit den Jahren schwand?
Außerdem gab es da ein weiteres Problem, das Stragens Person betraf. Seine ungeklärte Herkunft und das Fehlen eines offiziellen Ranges hatten ihn überempfindlich werden lassen. Auf jede oft unbedacht geäußerte und keineswegs beabsichtigte Bemerkung reagierte er gereizt und benahm sich als Ehlanas Gefolgsmann wie ein ungeladener Gast bei einem Bankett – stets von der heimlichen Angst erfüllt, man könnte ihm die Schande antun, ihn fortzuschicken. Edelleuten wagte er nur mit allergrößter Ehrfurcht gegenüberzutreten, und in ihrer Gesellschaft fühlte er sich stets als Außenseiter. Manchmal schienen sie für Stragen Angehörige einer anderen Gattung Mensch zu sein.
Dieses Problems würde sie, Melidere, sich als erstes annehmen müssen, falls sie beschloß, ihn zu heiraten, das war ihr klar. Sie selbst wußte, daß ein Titel nichts über den Menschen aussagte, und daß Rang und Namen gekauft werden konnten. Aber wie sollte sie Stragen dies beibringen? Sie könnte ihm ohne Schwierigkeiten den Titel eines hohen Edelmanns erkaufen; aber das würde bedeuten, daß sie ihm ein Geheimnis verraten müßte, das sie seit ihrer Kindheit hütete. Nie hatte Melidere auf irgendeine Weise durchblicken lassen, daß sie eine der wohlhabendsten Personen am Hof war – vor allem deshalb nicht, weil ihr sagenhafter Reichtum nicht auf legale Weise erworben war.
Aber das war es! Beinahe hätte sie laut gelacht, als sie erkannte, wie einfach es war. Wenn sie Stragen wirklich heiraten wollte, brauchte sie ihn nur in ihr Geheimnis einzuweihen. Das würde sie gleichstellen und die Barriere niederreißen, die ohnehin nur in Stragens Einbildung bestand. Melidere war Baroneß, doch ihre Familie konnte sich noch nicht allzu lange Zeit mit dem Adelstitel schmücken.
Ihr Vater – ein Mann mit breiten Schultern und dichtem blonden Lockenhaar – war als junger Bursche Schmied in Cardos gewesen und
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