Tamuli 3 - Das Verborgene Land
»Wir kommen jeden Abend nach Samar zurück – obwohl es dafür jetzt eigentlich keinen Grund gibt. Ich glaube, die Gefahr besteht nicht mehr, daß es noch zu einer Belagerung kommen könnte.«
»Das stimmt«, bestätigte Vanion. »Wir haben sie weit genug getrieben, daß sie sich jetzt nicht richtig auf Samar konzentrieren könnten.«
Er schlug seine Karte auf, bückte sich und breitete sie auf dem winterbraunen Gras aus. »Stell dich bitte auf die Ecke dort«, ersuchte er Sephrenia. »Ich möchte ihr nicht noch einmal hinterherlaufen müssen.«
Kring blickte ihn verwirrt an.
»Ein kleiner Scherz zwischen uns beiden«, erklärte Sephrenia und stellte einen zierlichen Fuß auf die Ecke von Vanions Karte. »Vanion hat eine Vorliebe für Landkarten, und vor zwei Tagen hat ein plötzlicher Windstoß aus seiner derzeitigen Lieblingskarte einen Papierdrachen gemacht.«
Vanion überging die Bemerkung großmütig. »Ich bin ebenfalls dafür, Sperber nicht zu bedrängen. Aber ich finde, wir sollten draußen in der Wüste ein paar Stellungen befestigen. Das verschafft uns beim Vormarsch auf Cyrga eine wesentlich günstigere Ausgangsposition.« »Das war auch meine Überlegung, Freund Vanion.«
»Richten wir hinter der Grenze einstweilen ein behelfsmäßiges Lager ein«, entschied Vanion. »Ich werde Betuana Bescheid geben, daß sie es ebenfalls tut.« »Wie weit sollen wir vordringen?« fragte Kring.
Vanion blickte Sephrenia an. »Dreißig Meilen? Das ist nicht so weit, daß wir Sperber auf die Füße treten; andererseits läßt es uns genug Spielraum und gibt dir Ellbogenfreiheit genug für deinen Zauber.«
»Den Zauber einzusetzen ist keine schlechte Idee, Freund Vanion«, meinte Kring, doch seine Stimme klang ein wenig zweifelnd. »Aber damit lockt Ihr die mächtigsten unserer Feinde direkt zu Euch – und zur erhabenen Sephrenia. Wollt Ihr das? Das soll kein Tadel sein, doch Euer Kampf gegen Klæls Soldaten hat Eure Zahl stark verringert.«
»Das ist einer der Gründe, weshalb ich draußen in der Wüste befestigte Stellungen haben möchte, Domi.« Vanion verzog das Gesicht. »Falls es zum Schlimmsten kommt, ziehen wir uns in diese Stellungen zurück. Ich kann fast sicher damit rechnen, daß uns an den Flanken einige liebe Freunde zu Hilfe eilen werden.« »Das glaube ich auch«, pflichtete Sephrenia ihm bei.
Als sie sich ungefähr fünf Meilen von Vigayo entfernt hatten, zischte Khalad: »Halt!«
Er zügelte sein Pferd.
»Was ist?« fragte Berit angespannt.
»Jemand namens Widderhorn liegt dort begraben.« Khalad streckte die Hand aus. »Ich glaube, wir sollten anhalten und ihm die letzte Ehre erweisen.«
Berit blickte auf das schlichte Grab am Wegrand. »Ich habe es doch tatsächlich übersehen«, gestand er. »Tut mir leid, Khalad.«
»Du solltest ein bißchen achtsamer sein!«
»Ich glaube, so hast du schon einmal zu mir gesprochen.«
Sie saßen ab und näherten sich dem ›Grab‹.
»Sehr schlau!« flüsterte Berit. Vermutlich war es nicht nötig, leise zu sein, doch inzwischen war es ihnen schon zur Gewohnheit geworden.
»Wahrscheinlich Talens Idee«, meinte Khalad, als sie sich beide neben den Steinhaufen knieten. »Sperber traue ich so viel Spitzfindigkeit nicht zu.«
»Sollten das nicht zwei Worte sein?« Berit wies auf die verwitterte Planke, in die ziemlich ungelenk Widderhorn eingeschnitzt war.
»Du bist der Gebildete, mein Freund. Vorsicht, berühr diese Steine nicht!«
»Welche Steine?«
»Die gelben. Wir werden sie ein wenig durcheinander legen, sobald ich sie gelesen habe.«
»Du liest Steine?«
»Ja. Es ist eine Botschaft von Sperber. Er und mein Vater haben sich das vor langer Zeit einfallen lassen.« Der kurzbärtige junge Mann beugte sich über die gelben Steine und betrachtete eingehend den Grabhügel. »Natürlich«, brummte er schließlich, stand auf und trat an die Kopfseite des Grabes. »Was?«
»Sperber hat es andersherum geschrieben. Jetzt ergibt es Sinn.« Khalad studierte die scheinbar wahllos auf dem braunen Hügel angeordneten gelben Steine. »Bete, Berit!« forderte er den Freund auf. »Sag ein Gebet für die Seele unseres armen, dahingeschiedenen Bruders Widderhorn.« »Du redest Unsinn, Khalad.«
»Möglicherweise beobachtet uns jemand. Also los, spiel den Frommen!«
Der stämmige junge Knappe ergriff den Zügel seines Pferdes und führte das Tier ein Stück von dem schlecht erkennbaren Pfad weg. Dann bückte er sich, nahm Farans linken Vorderfuß in beide Hände und
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