Tamuli 3 - Das Verborgene Land
Abgrund in seiner Höhle empor geschwebt, und Sephrenia wandelte dir durch die Luft entgegen. Von Panik war damals wahrhaftig nichts an ihr zu bemerken.«
»Stimmt. Es war die vielleicht mutigste Tat ihres Lebens. Aus Stolz auf sie wäre mir schier das Herz geborsten.«
»War Sephrenia überhaupt bei Bewußtsein? Als du sie gefunden hast, meine ich.« »Sie wacht ab und zu auf. Jedenfalls konnte sie uns erzählen, wer sie überfallen hat. Es gelang mir, ihren Herzschlag zu verlangsamen und ihre Schmerzen zu stillen. Sie ist jetzt sehr ruhig.« Aphraels Stimme zitterte. »Sie erwartet ihren Tod, Sperber! Sie spürt die Wunde in ihrem Herzen und weiß, was das bedeutet. Als ich sie verließ, hat sie Xanetia gerade eine letzte Botschaft für Vanion aufgetragen.« Die junge Göttin unterdrückte ein Schluchzen. »Könnten wir über etwas anderes reden?«
»Natürlich.« Sperber wandte den Blick vom Nachthimmel ab. »Geradeaus vor uns ragen Berggipfel aus den Wolken.«
»Dann sind wir fast am Ziel. Dirgis liegt in dem großen Becken hinter dem ersten Grat.«
Aphrael verringerte nach und nach ihre hohe Geschwindigkeit. Sie flogen über die südlichen Ausläufer des Atanischen Gebirges hinweg, dessen Gipfel wie eiserstarrte Inseln aus den Wolken stachen, und stellten fest, daß nur eine dünne Wolkenschicht das dahinterliegende Becken bedeckte.
Nun gingen sie nieder und schwebten wie Fallschirmchen von Pusteblumen auf die bewaldeten Hügel und Täler zu – eine Landschaft, die sich im Mondschein ganz in Grautönen zeigte. Links, in einiger Entfernung, hoben sich die Lichter einer weiteren Stadt ab: rot flackernde Fackeln in schmalen Straßen, und goldener Kerzenschein in kleinen Fenstern. »Das ist Dirgis«, sagte Aphrael. »Wir werden etwas außerhalb landen. Ich sollte mich wohl zurückverwandeln, ehe wir die Stadt betreten.« »Entweder das, oder du ziehst etwas weniger Durchsichtiges an.«
»Das macht dir wohl schwer zu schaffen, nicht wahr, Sperber? Bin ich denn häßlich?«
»Nein. Ganz im Gegenteil – und gerade das macht mir zu schaffen. Ich kann nicht verstehen, warum du nackt herumlaufen mußt, Aphrael.«
»Ich bin nicht wirklich eine Frau, Sperber. Jedenfalls nicht auf die Weise, die dir offenbar so zu schaffen macht. Kannst du dir nicht vorstellen, ich wäre eine Stute – oder ein Reh?«
»Nein, das kann ich nicht. Tu einfach, was du tun mußt, Aphrael. Ich glaube nicht, daß wir darüber reden müssen, als was ich dich sehe.«
»Errötest du etwa, Sperber?«
»Allerdings. Können wir jetzt das Thema wechseln?«
»Ich finde das wirklich süß.«
»Würdest du jetzt bitte aufhören?«
In einem abgeschiedenen kleinen Tal, etwa eine halbe Meile vom Stadtrand entfernt, setzten sie auf. Sperber drehte Aphrael den Rücken zu, während die Kindgöttin die vertrautere Gestalt der styrischen Waise annahm, die sie alle als Flöte kannten. »Besser?« fragte sie, als Sperber sich zu ihr umdrehte.
»Viel besser!« Er hob sie auf den Arm und machte sich mit schnellen Schritten auf den Weg zur Stadt. Er konzentrierte sich darauf; denn das half ihm, an nichts anderes zu denken.
Sie begaben sich geradenwegs in die Stadt, wo sie von der Hauptstraße abbogen und zu einem großen, zweistöckigen Haus gingen. »Das ist es«, erklärte Aphrael. »Wir gehen einfach rein und die Treppe hinauf. Ich sorge dafür, daß der Hauswirt in die entgegengesetzte Richtung blickt.«
Sperber stieß die Tür auf, durchquerte die Schankstube im Erdgeschoß und stieg die Treppe hinauf.
Xanetia erstrahlte in beinahe grellem Licht. Sie wiegte Sephrenia in den Armen. Die beiden Frauen saßen auf einem schmalen Bett in einem Zimmer mit Wänden aus nur leicht behauenen Holzbalken. Es war einer dieser gemütlichen kleinen Räume, wie man sie in Berggasthöfen auf der ganzen Welt finden kann, mit einem Porzellanofen, zwei Stühlen neben jedem Bett und einem Nachtkästchen. Ein Kerzenpaar warf sein goldenes Licht auf die beiden Frauen auf dem Bett. Sephrenias Gewand war auf der Brust blutgetränkt, und ihr Gesicht war totenbleich. Sperber blickte sie an, und in seinem Innern schienen plötzlich Flammen zu lodern. »Dafür wird Zalasta schlimmen Schmerz erleiden!« stieß er auf Trollisch hervor.
Aphrael blickte ihn erstaunt an. Dann sprach auch sie in der kehligen Zunge der Trolle. »Dein Gedanke ist gut, Anakha!« stimmte sie heftig bei. »Füge ihm viel Schmerz zu!« Beide schienen sie den reißenden Laut des trollischen Wortes für
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