Tango Vitale
Anfang an intensiv begleitet, und noch immer kann er ihr als erfahrener Mentor gute Hinweise geben. Deshalb kommt sie weiterhin regelmäßig zu ihm, um an Feinheiten zu arbeiten. Zwischen den beiden hat sich im Laufe der Zeit eine vertrauensvolle Beziehung entwickelt, über die sie aber bisher nie gesprochen haben. Ihre Verbindung ist die Musik. Bei ihrem letzten Besuch hat Sarah plötzlich den Impuls, ihren Lehrer zu umarmen und ihm für alles zu danken, was er für sie getan hat. Er zeigt sich etwas verwundert über ihren Gefühlsausbruch, scheint sich aber doch zu freuen. Zwei Tage später erhält sie den Anruf seiner Frau: In der Nacht hat er einen Herzschlag bekommen und ist gestorben. »Das ist wirklich merkwürdig«, wundert sich Sarah. »Ich habe niemals so mit ihm gesprochen – warum ausgerechnet dieses Mal? Es war, als ob ein Teil von mir gewusst hätte, dass wir uns zum letzten Mal sehen. Ohne |44| dass es mir in dem Moment klar war, habe ich Abschied von ihm genommen. Darüber bin ich heute noch froh und dankbar.«
Im günstigen Fall kann uns unsere Intuition sogar vor einem Unglück bewahren. Allerdings müssen wir bereit sein, genau wie im positiven Fall unserer inneren Stimme zu gehorchen, obwohl es uns unsinnig erscheint. Hand aufs Herz, wie würden Sie reagieren, wenn Ihre innere Stimme Ihnen vor dem Check-in sagt: »Steig nicht in diesen Flieger. Lass dich auf die nächste Maschine buchen«? Oder wenn Sie eine eilige Besorgung machen wollen: »Halt, geh nicht in dieses Gebäude.« Und doch gibt es Berichte von Menschen, die darauf gehört haben und auf diese Weise einem Unglück entkommen sind: Das ursprünglich gebuchte Flugzeug stürzte ab, im Kaufhaus brach ein Brand aus, bei dem viele Menschen zu Schaden kamen.
Sinnlose Reue
Während wir die positive Synchronizität gerne annehmen, fällt es uns extrem schwer, die negative zu akzeptieren. Vor allem, weil eine erklärende Ursache dafür fehlt, warum es gerade diese unschuldige Person getroffen hat. Wäre sie leichtsinnig gewesen oder hätte sich falsch verhalten, dann wäre das Ergebnis zwar ebenso traurig, aber immerhin verständlich. So aber quälen sich die Angehörigen und Freunde der Opfer mit der Frage nach dem Warum. Es scheint so sinnlos, so grausam zufällig. Oft quälen sie sich auch mit Vorwürfen, weil sie ihren harmlosen Beitrag zum Geschehen im Nachhinein als Ursache interpretieren. Wie die Mutter, die ihren Sechsjährigen zum Brötchenholen schickt; eigentlich kein Problem für den Kleinen, er muss dazu nicht einmal eine Straße überqueren. Doch an diesem Morgen verliert der Fahrer eines Lieferwagens die Kontrolle über das Steuer, sein Auto gerät auf den Bürgersteig und überfährt das Kind. Es stirbt noch auf der |45| Straße. Die Mutter ist untröstlich: »Hätte ich ihn doch nur nicht gehen lassen!«
Solche Selbstanklagen sind sinnlos und selbstzerstörerisch. Auch wenn es schwerfällt: Wir müssen aushalten, dass es für manches Unglück auf dieser Welt offenbar keine plausible Erklärung gibt. Oder doch?
Wie passiert Synchronizität?
Ob im positiven oder negativen Sinne, es gibt wohl kaum einen erwachsenen Menschen, dessen Schicksal nicht irgendwann einmal durch Synchronizität eine wichtige Veränderung erhalten hat. Bleibt die Frage: Wie kommt das eigentlich zustande?
Man kann versuchen, Synchronizität mit statistischen und mathematischen Mitteln zu erklären. Wahrscheinlichkeiten sind schließlich berechenbar. Außerdem lassen sich auch hinter einer Synchronizität kausale Zusammenhänge entdecken. In der Liebesgeschichte von Karin und Wolf war Wolf in Hamburg, weil ein Kunde dringend vor Ort seine Hilfe brauchte, das Autoradio schaltete er ein, weil er im Berufsverkehr im Stau stand. Und so weiter. Auch für die Opfer der Loveparade kann man sicher nachweisen, warum sie sich gerade zu diesem Zeitpunkt im Tunnel befanden. Vielleicht war ihre Anreise lang, sie sind unterwegs aufgehalten worden oder mussten früher als ihre Freunde zurück, um sich für eine Klausur am nächsten Tag vorzubereiten.
Zweifellos hat jedes Ereignis Gründe, die ihrerseits wieder auf Ursachen beruhen. Hinter jeder weiteren Ursache taucht eine neue auf. Nur: Wollten wir versuchen, dieses Geflecht bis ins Letzte aufzudröseln, wären wir am Ende völlig verwirrt. Zur Behandlung objektiver Tatsachen ist ein streng wissenschaftliches Vorgehen sicher geeignet, nicht aber in einem Bereich, in dem Subjektivität eine so entscheidende
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