Tango Vitale
»Entweder-oder« geführt. Ein Befürworter dieser Gegensätze war der Naturforscher und Schriftsteller Francis Galton. Angeregt von dem Werk
Ursprung der Arten
seines Cousins Charles Darwin brachte er die Kontroverse auf die griffige Formel »Nature versus Nurture – Natur gegen Kultur«. Dabei sind unter »Nature« sämtliche vererbten Anlagen zu verstehen, »Nurture« umfasst den Einfluss der Umwelt, also die menschlichen Erfahrung.
Inzwischen hält die Forschung die in dieser Formel aufgestellte Gegensätzlichkeit für unfruchtbar. Man hat erkannt, dass Anlage und Umwelt einander beeinflussen. So konterte der kanadische Psychologe Donald Hebb auf die Frage eines Journalisten, ob denn nun eher die Vererbung oder die Umwelt eine Rolle spiele, mit einer Gegenfrage: »Was ist für die Fläche eines Rechtecks wichtiger, die Länge oder die Breite?« Doch obwohl die Wechselwirkung allgemein akzeptiert |70| ist, herrscht keineswegs Frieden zwischen den Vertretern beider Richtungen. Der Streit geht darum, wo der Schwerpunkt zu setzen ist. Die Entscheidung hat nicht nur Auswirkung auf soziale Bedingungen, sondern auch darauf, inwieweit wir unser Schicksal beeinflussen können. Schließlich handelt es sich um die Frage, wie festgelegt unsere Persönlichkeit ist.
Noch Mitte der 60er Jahren lernte ich als Studentin in Pädagogikvorlesungen, dass die Umwelt den entscheidenden Einfluss hat: Ein Kind kommt als unbeschriebenes Blatt zur Welt, das man durch Erziehung nach Belieben formen kann. Unterstützt man vor allem das Sozialverhalten, ergibt das im Endeffekt eine kleine Mutter Teresa. Füttert man es schon im Bauklötzchen-Alter mit naturwissenschaftlichen Fakten, so wird es später auf diesem Gebiet ein Profi. Grundlage dafür war der Behaviorismus mit seinem Credo: Durch Belohnung bei richtigem Verhalten und Strafe bei falschem lässt sich jede gewünschte Verhaltensweise verstärken. Das klingt zwar fatal nach Gehirnwäsche, diente aber seinerzeit durchaus positiven Zielen. Die Theorie regte dazu an, Chancengleichheit herzustellen und Kinder zu fördern. Nur war sie zu einseitig. Hätten in der Vorlesung überwiegend Mütter oder Väter gesessen, dann wäre garantiert sofort Einspruch gekommen. Eltern lernen nämlich durch eigene Erfahrung, dass Kinder keineswegs nur das Produkt ihrer Umwelt sind, sondern schon bei der Geburt eine Menge Eigenschaften mitbringen.
Britta, Illustratorin und Mutter zweier Kinder, muss noch heute über ihre Naivität lachen: »Colin, unser Ältester, ist still und ein bisschen schüchtern. Schon als kleiner Junge beschäftigte er sich gerne selbst, wir konnten ihn problemlos überall mit hinnehmen. Der Sohn meiner Freundin Valentina dagegen war ein richtiger Rabauke. Wenn Philipp bei uns war, mussten wir das Porzellan in Sicherheit bringen. Heimlich dachte ich, dass meine Freundin ihren Sohn einfach nicht ordentlich erzieht – bis wir vier Jahre später noch eine Tochter bekamen. Anna ist |71| eine wilde Hummel. Seit wir sie haben, weiß ich: Erziehung ist nicht alles. Die Kinder bringen ihr Temperament mit auf die Welt, da kannst du als Mutter gar nichts machen. «
Die Big Five
Tatsächlich verlor der Behaviorismus schließlich an Bedeutung, was nicht zuletzt auch daran lag, dass das simple Reiz-Reaktions-Schema der Komplexität menschlicher Lern- und Entwicklungsprozesse nicht gerecht wird. Statt auf die Umwelteinflüsse verlagerte sich das wissenschaftliche Interesse auf angeborene Eigenschaften. Dieser Umschwung war vor allem den neuen Erkenntnissen der Genetik, Molekularbiologie und Gehirnforschung geschuldet, doch auch die Psychologie hatte ihren Anteil daran. In der Persönlichkeitspsychologie bemühte man sich seit langem, grundlegende Dimensionen herauszufinden und zu messen, mit denen sich die individuellen Unterschiede von Personen möglichst vollständig erklären ließen. Dazu filterte man mit statistischen Verfahren aus einer umfassenden Liste von Adjektiven diejenigen heraus, die sich zur Beschreibung stabiler individueller Persönlichkeitszüge eigneten. Am Ende ergaben sich fünf Faktoren: die »Big Five« der Persönlichkeit.
Auf dieser Grundlage entwickelte der Psychologe Robert McCrae vom National Institute of Aging in Baltimore zusammen mit seinem Kollegen Paul Costa Ende der 80er Jahre einen international gebräuchlichen Persönlichkeitstest, das Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI). McCrae war davon überzeugt, dass die darin erfassten fünf Eigenschaften
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