Tango Vitale
antworten stellt der Alte eine Gegenfrage: »Wie sind denn die Einwohner der Stadt, aus der du kommst?« »Frage mich bloß nicht nach denen!«, schimpft der Reisende, »das sind ganz unangenehme Leute, streitsüchtig und egoistisch. |61| Ich bin froh, dass ich dort weg bin.« »Es tut mir leid«, sagt der alte Mann, »aber hier sind die Menschen genauso bösartig.« Wenig später kommt ein anderer Reisender zum Tor. Auch er erkundigt sich danach, wie die Einwohner der Stadt wären. Der alte Mann fragt wie zuvor: »Wie sind denn die Menschen aus dem Ort, von dem du kommst?« Mit leuchtenden Augen erwidert der Fremde: »Oh, sie sind wunderbar. So gastfreundlich und aufgeschlossen. Es ist mir richtig schwergefallen, sie zu verlassen.« »Sei nicht traurig«, brummt der Alte, »in dieser Stadt sind die Menschen genauso liebenswürdig.«
Sie kennen es sicher selbst: Wenn Sie glücklich sind, verhalten sich plötzlich alle, denen Sie begegnen, positiv, und die Dinge fügen sich wie von selbst. Die Marktfrau sucht Ihnen besonders schöne Äpfel heraus, Sie finden im Internet auf Anhieb ein passendes Hotel für Ihren Kurzurlaub. Aber wehe, Sie haben schlechte Laune, dann verwandelt sich Ihre Umgebung blitzschnell in einen Ort voller Widrigkeiten. Ihr Kollege macht eine bissige Bemerkung, am heißen Kaffee verbrennen Sie sich die Zunge. Sie glauben: »Heute hat sich aber auch alles gegen mich verschworen.« Dabei greift in beiden Fällen das Gesetz der Resonanz. Wir ziehen an, was in uns ist und was wir deshalb ausstrahlen. Aus diesem Grund wird es auch häufig als Gesetz der Anziehung bezeichnet.
Resonanz und Schicksal
Julia hat ein Catering-Unternehmen. In einer Stadt wie Hamburg ist die Konkurrenz in dieser Branche recht groß. Trotzdem ist Julia ständig ausgebucht. Demnächst will sie sogar ein kleines Bistro eröffnen, in dem man die Leckereien auch an Stehtischen kosten kann. Ihr Erfolgsgeheimnis: Sie liebt ihre Arbeit, und das spüren die Kunden. Sie lesen es an der fantasievollen Dekoration der Speisen ab, an der Qualität der |62| verarbeiteten Lebensmittel, an der Aufgeschlossenheit, mit der Julia auf Sonderwünsche eingeht. Das alles bewirkt eine positive Resonanz, die sich als Mundpropaganda zeigt.
Wie im Positiven haben wir vermutlich auch unsere Finger im Spiel, wenn uns unangenehme Dinge geschehen. Das wurde mir vor kurzem wieder deutlich, als ich im Fernsehen eine Dokumentation über Viktimologie sah, einer Sparte der Kriminologie, die sich mit den Opfern von Straftaten beschäftigt. Freiwillige Versuchspersonen waren ein junger Mann, der schon mehrfach auf der Straße überfallen worden war, und fünf weitere Männer, die ihm von Alter, Größe und Statur ähnelten. An ihnen wurden von Kopf bis Fuß Marker befestigt, die im Dunklen leuchteten. Außerdem nahm eine Gruppe von ehemaligen Gefängnisinsassen teil, die wegen Körperverletzung und Raub eingesessen hatten. Ihre Aufgabe sollte es sein, unabhängig voneinander denjenigen der sechs jungen Männer zu benennen, den sie während ihrer kriminellen Vergangenheit am ehesten überfallen hätten. Sie durften die Versuchspersonen zunächst nicht sehen. Nun begann das eigentliche Experiment: Die sechs jungen Männer wurden in einen stockfinsteren Raum geführt. Man konnte sie im Dunkeln nicht erkennen, sondern sah nur Gestalten mit Leuchtpunkten, ähnlich wie phosphorizierende Skelette in einer Geisterbahn. Sie wurden aufgefordert, einzeln nacheinander im gleichen Tempo von einer Ecke des Raumes in die andere zu gehen. Für die Juroren bekam jeder von ihnen eine Nummer. Nachdem die Versuchspersonen durch den Raum gegangen waren, fällten die Beobachter ihr Urteil. Als sie anschließend ihre gewählte Nummer miteinander verglichen, ergab sich: Alle hätten am ehesten die Nummer vier überfallen: den jungen Mann, den es auch in der Realität mehrfach getroffen hatte. Als Begründung gaben sie an: Bei der Nummer vier hätten sie am wenigsten Gegenwehr zu erwarten. Tatsächlich war auch mir vor dem Bildschirm aufgefallen, dass eine der Versuchspersonen sich unsicherer bewegte als die anderen. |63| Offenbar drückten sich Ängstlichkeit und Mangel an Selbstvertrauen in Körperhaltung und Bewegung aus. Damit wurde die Resonanz zu einer kriminellen Handlung hergestellt.
Wir können froh sein, wenn sich die negativen Erlebnisse in unserem Leben bisher harmloser gestaltetet haben. Und es bedeutet selbstverständlich nicht, dass alle Opfer von Verbrechen an
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