Tango Vitale
zu geben. Er weiß schon von selbst, was er zu tun hat.
Auf diese Weise wird unser Unterbewusstsein von unserem Selbstkonzept bestimmt. Ohne noch groß darüber nachzudenken, verhalten wir uns gemäß unserem Bild – zumal wir ja sicher sind, dass es sich dabei um die reine Wahrheit handelt. Der treue Diener setzt das Selbstkonzept präzise um. Dafür nutzt er die ihm zur Verfügung stehenden Mittel: Er blendet Informationen aus, lässt uns Dinge übersehen, gibt uns Energie oder blockiert unser Gehirn, führt uns aus der Fülle der Möglichkeiten zielsicher zur falschen oder richtigen Wahl.
Unser Einfluss auf andere
Dass wir in Eigenregie eine Situation so gestalten, wie wir sie voraussehen, können wir uns noch schlüssig erklären. Komplizierter wird es jedoch, wenn andere Personen mit ins Spiel kommen. Verblüffenderweise verhalten sich die Menschen um uns herum genau so, wie wir es erwarten: Sie trauen uns viel zu und unterstützen uns gerne, oder lehnen uns ab und behandeln uns unfair.
|139| Nun muss das sicher nicht in jedem Fall so ablaufen. Es kann durchaus passieren, dass jemand, der sich als Gewinner fühlt, mal übel abblitzt. Und ein von Minderwertigkeitsgefühlen geplagter Mensch stößt vielleicht auf einen wohlwollenden Mentor, der ihn seelisch aufbaut. Doch das sind eher Ausnahmen. Die meisten Menschen behandeln uns tatsächlich exakt so, wie wir uns sehen.
Wie kann das sein? Schließlich tragen wir kein Schild mit der Aufschrift »Ich bin ein Gewinner-Typ!« mit uns herum oder fordern andere ausdrücklich dazu auf, uns schlecht zu behandeln. Im Gegenteil, oft treten wir bescheiden auf, obwohl wir von uns überzeugt sind, oder geben uns selbstsicher, während wir uns vor Ablehnung fürchten. Unsere Mitmenschen können nicht in unseren Kopf hineinsehen. Warum also reagieren sie so, als ob sie unsere geheimsten Gedanken lesen könnten, und verhalten sich entsprechend unserer eigenen Einschätzung?
Offenbar wirken sich Begegnungen unabhängig von dem aus, was wir auf der bewussten Ebene verhandeln. Je nach persönlicher Stärke übertragen sich die Gefühle und sogar die Gedanken unseres Gegenübers auf uns – oder wir beeinflussen selbst unsere Gesprächspartner. Das geschieht auf einem subtilen Weg, den der Psychologe und Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman als »unteren Pfad« bezeichnet – im Gegensatz zu dem »oberen Pfad« der bewussten Wahrnehmung und des Denkens. 41
Ich erinnere mich an eine verblüffende Begegnung mit dem »unteren Pfad« in meinem ersten Jahr als Psychotherapeutin. Damals konnte ich mir nicht erklären, was da eigentlich vor sich ging. In einigen Sitzungen erlebte ich es, dass ich plötzlich mitten im Gespräch von einer bleiernen Müdigkeit erfasst wurde. Ich konnte kaum die Augen offen halten und wäre fast aus dem Sessel gekippt. Selbstkritisch fragte ich mich, ob ich vielleicht nicht genug geschlafen hatte oder mich das Thema, das den Klienten oder die Klientin gerade beschäftigte, langweilte. Beides war eindeutig nicht der Fall. Schließlich sprach ich das |140| Phänomen im Praxis-Team an. »Ach, das kenne ich auch«, sagte einer der erfahrenen älteren Therapeuten, »das ist ein Zeichen dafür, dass der Klient einen Widerstand gegen das Thema hat. Du berührst gerade ein heißes Eisen, an das er nicht heranmöchte.« »Und deshalb legt er mich unbewusst lahm?«, fragte ich. Mein Kollege bestätigte das. »Und wie funktioniert das?« Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht gibt es eine geheimnisvolle Übertragung.«
Unterschwellige Beeinflussungen erleben wir auch im normalen Alltag. Etwa so: Sie sind bester Laune, bis Sie eine Bekannte auf der Straße treffen. Angeregt plaudern Sie über allgemeine Themen, nichts Dramatisches, doch anschließend fühlen Sie sich plötzlich bedrückt. Oder eine Freundin schafft es immer wieder, Sie wütend zu machen, ohne dass Sie genau sagen könnten warum. Natürlich gibt es auch die positive Variante. Obwohl sich das Gespräch um schwerwiegende Probleme gedreht hat, fühlen Sie sich trotzdem zuversichtlich und voller Energie.
Wenn der Funke überspringt
Inzwischen weiß man dank der Neurowissenschaften mehr über diesen unbewussten Einfluss, den Menschen aufeinander haben. In unseren Augen befinden sich Nervenverbindungen, die unmittelbar zu einer zentralen Hirnregion führen, in der Emotionen verarbeitet werden, nämlich dem orbitofrontalen Kortex, abgekürzt OFK. Der orbitofrontale Kortex befindet sich
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