Tango Vitale
Kolleginnen. »Wie klein soll ich mich denn noch machen?«, fragte Annette verzweifelt. Bevor sie versucht, wie Alice im Wunderland auf Zwergengröße zu schrumpfen, erklärte ich ihr: »Sie können sich Ihre Demutshaltung sparen. Es wird Ihnen nicht gelingen, Ihre Gedanken zu verbergen, selbst wenn Sie es wollen. Und sei es nur, dass Sie für einen Sekundenbruchteil irritiert schauen, weil Ihre Vorgesetzte etwas sachlich Falsches von sich gibt. In jedem Fall spürt sie, dass Sie sich ihr überlegen fühlen, und reagiert darauf mit Ablehnung.« Um eine Änderung zu erreichen, muss Annette bei ihrer Einstellung ansetzen, nicht bei ihrem Verhalten.
Realität oder Interpretation?
Auf dem »unteren Pfad« kriegen wir andere unbewusst dazu, uns so zu behandeln, wie wir es erwarten. Doch sogar wenn sie das nicht tun, bleibt uns immer noch die Möglichkeit, ihr Verhalten einfach gemäß unserem Selbstkonzept zu deuten. Indem wir dann entsprechend unserer Interpretation reagieren, gelingt es uns ebenfalls, unsere Erwartungen zu bestätigen.
Angenommen, Sie gehen an einer Gruppe von Kolleginnen vorbei, die die Köpfe zusammenstecken und kichern. Falls Sie ein negatives Selbstkonzept haben, vermuten Sie wahrscheinlich, dass man sich hinter Ihrem Rücken über Sie lustig macht. Beschämt oder empört gehen Sie weiter. Sie haben es ja gleich gewusst: Die lehnen Sie ab.
Bei einem positiven Bild von sich glauben Sie eher: »Da erzählt wohl eine gerade etwas Lustiges.« Sie stellen sich neugierig dazu. Woraufhin man Sie freundlich in die Runde aufnimmt und Ihnen brühwarm erzählt, in welches Fettnäpfchen der neue Abteilungsleiter getreten ist.
|144| Es gibt noch eine weitere Methode, mit der sich die Realität unserem Selbstkonzept anpassen lässt: Wir picken uns einfach das heraus, was uns stimmig erscheint, und ignorieren den Rest. Dank unseren geistigen Scheuklappen hören und sehen wir nur das, was in unser Konzept passt.
Angenommen, Ihr Selbstwertgefühl als Hobbyköchin ist nicht besonders ausgeprägt. Trotzdem haben Sie sich an ein aufwändiges Menü gewagt. Ihr Mann lobt das leckere Essen, meint aber, Sie hätten wohl ein bisschen viel Chili hineingetan. Sie reagieren gekränkt. Das haben Sie sich doch gleich gedacht, dass es nicht schmeckt.
Oder Sie haben sich verliebt. Leider beruht das nicht auf Gegenseitigkeit. Das Objekt Ihrer Begierde versucht, es Ihnen diplomatisch beizubringen: »Du bist wirklich ein wunderbarer, liebenswerter Mensch, aber ich empfinde nicht genug für dich.« Mit klopfendem Herzen hören Sie nur: »Du bist wunderbar und liebenswert.« Den Rest der Aussage stecken Sie weg. Gemäß Ihrem positiven Selbstkonzept glauben Sie optimistisch: Was nicht ist, kann ja noch werden.
Sich selbsterfüllende Prophezeiungen als Endlosschleife
Wie Sie sehen, sind wir mächtiger, als uns normalerweise klar ist. Über unser Unbewusstes, die heimliche Beeinflussung anderer, individuelle Interpretationen und eingeschränkte Wahrnehmung schaffen wir es, unsere Erwartungen zu bestätigen. Dass wir auf diese Weise unser Schicksal nachhaltig mitbestimmen, liegt daran, dass sich unsere Erwartungen meist wiederholen. Gemäß unserem Selbstkonzept setzen wir ein Karussell in Gang:
Wir erwarten ein bestimmtes Ergebnis und verhalten uns so, wie es zu unseren Erwartungen passt.
Wir fühlen uns durch die Reaktion der anderen, unsere Interpretation |145| oder eingeschränkte Wahrnehmung in der Erwartung bestätigt.
Wir sagen uns: »Na also, ich hatte Recht, es ist genau so gekommen, wie ich vermutet habe.«
Wir speichern das Erlebte als Erfahrung.
In einer ähnlichen Situation zeigen wir die gleiche Erwartungshaltung.
Das ist kein Problem, wenn wir ein positives Selbstkonzept haben. Die permanente Wiederholung guter Erfahrungen führt zu einem Engelskreis. Schon das Sprichwort sagt: »Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.« Angenehme Erlebnisse vervielfältigen sich. Daran wollen wir gewiss nichts ändern, erwarten Sie gerne weiterhin das Beste. Solange Sie nicht hinsichtlich Ihrer Fähigkeiten einer absoluten Selbsttäuschung unterliegen, werden Sie damit immer wieder gute Ergebnisse erzielen. Und selbst wenn Ihre positiven Erwartungen gelegentlich enttäuscht werden sollten – was nun mal zum Leben gehört –, bedrückt Sie das vermutlich nicht lange. Glücksforscher haben festgestellt, dass Optimisten im Gegensatz zu Pessimisten glauben, dass die Ursache eines negativen Ereignisses nur vorübergehend ist.
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