Tango Vitale
Lehrern einer öffentlichen Grundschule mit, sämtliche Schüler würden einem wissenschaftlichen Test |136| unterzogen. Dadurch sollten hochbegabte Kinder herausgefiltert werden, die kurz vor einem Entwicklungsschub ständen. Rosenthal gab an, dies träfe auf 20 Prozent der Schüler zu, deren Namen er den Lehrern mitteilte. In Wirklichkeit gab es keinen Test, und die Kinder wurden willkürlich ausgewählt. Ein Unterschied zu den übrigen durchschnittlich begabten Schülern existierte also nur in den Köpfen der Lehrer.
Nach einem Jahr stellten Rosenthal und sein Team fest, dass die Kinder aus der scheinbar fähigeren Gruppe im Vergleich zu denen der Kontrollgruppe ihren IQ wesentlich gesteigert hatten und deutlich bessere Leistungen zeigten. Rosenthal fragte sich, wie diese immerhin eindeutig messbare Veränderung zustande kam. Er vermutete, dass die Lehrer die angeblich hochbegabten Kindern freundlicher behandelten, sie häufiger lobten, ihnen mehr Informationen gaben und sie öfter zu Wort kommen ließen als ihre scheinbar weniger schlauen Mitschüler. Darauf hatten die »Hochbegabten« mit gesteigerter Leistung reagiert.
Rosenthals Experiment zeigt, dass Urteile, die unsere Umgebung über uns fällt, zu einer Wechselwirkung führen. Wir verhalten uns schließlich so, wie man es von uns erwartet.
Das Selbstkonzept, das wir unter dem Einfluss der anderen entwickeln, ist allerdings nicht immer aus einem Guss. Je nachdem, in welchem Bereich wir gefördert oder gebremst wurden, fällt es unterschiedlich aus. So kann man gleichzeitig selbstbewusst und unsicher sein, sich einerseits kompetent fühlen und sich andererseits wenig zutrauen.
Die Rechtsanwältin Sabina ist davon überzeugt, dass sie intelligent ist. Ihre Selbstsicherheit in diesem Punkt kommt nicht von ungefähr, denn in diesem Bereich ist sie immer gefördert worden. »Du schaffst das, wenn du nur willst«, meinten ihre Eltern, die Lehrer und schließlich auch sie selbst. Bis heute hat sie keine Scheu vor intellektuellen Herausforderungen. Was dagegen ihre äußere Attraktivität betrifft, wurde |137| ihr schon früh ein negatives Selbstkonzept vermittelt. Sie kam mit einem verkrüppelten Bein zur Welt. »Hinkefuß« und »lahme Ente« waren noch die nettesten Bezeichnungen, die ihr im Kindergarten und in der Schule nachgerufen wurden. Das wirkt sich für Sabina bis in die Gegenwart aus.
Für jeden von uns kann sich das Selbstkonzept wie ein Puzzle aus positiven und negativen Einschätzung zusammensetzen.
Unser Selbstkonzept
Zunächst bezieht sich unser Selbstkonzept auf die Gegenwart. Es beschreibt, wie wir uns aktuell einschätzen. Gleichzeitig wirkt es sich aber auch auf die Zukunft aus, indem wir daraus konkrete Erwartungen für kommende Ereignisse ableiten. Damit geben wir auf die Dauer unserem Schicksal eine Richtung vor.
Wenn Sie sich als beliebt und attraktiv ansehen, gehen Sie davon aus, dass Sie sich auf einer Party gut amüsieren werden. Halten Sie sich dagegen für uninteressant, vermuten Sie, dass Sie den ganzen Abend nur herumsitzen und keiner mit Ihnen reden will. Falls Ihr Selbstbild dem eines erfolgreichen Menschen entspricht, dann fangen Sie die nächste Aufgabe im Job in dem Bewusstsein an, das gut hinzukriegen. Meinen Sie allerdings, dass Sie eher eine Versagerin sind, erwarten Sie zu scheitern.
Und jetzt kommt scheinbar Magie ins Spiel: Mit ziemlicher Sicherheit wird genau das eintreffen, was Sie sich vorstellen. Ihre Prophezeiung wird sich erfüllen. Tatsächlich ist das aber gar nicht so geheimnisvoll. Der Grund dafür ist, dass Ihnen Ihr Unterbewusstsein gehorcht.
Vor ein paar Monaten machte ich eine Gruppenreise. Unter den Teilnehmern war auch die Fotografin Dorothee. Zufällig hörte ich, wie sie |138| zu jemandem sagte: »Na, ich bin mal gespannt, was diesmal passiert. Ich verletze mich auf jeder Reise.« Wenig später hatte sich ihre Voraussage erfüllt. Beim Spaziergang übersah sie einen Baumstumpf, stürzte und schlug sich die Knie auf. Zum Glück hatten wir Verbandszeug dabei. In Gesprächen stellte sich später heraus, dass Dorothees Selbstkonzept vor allem von dem Gedanken bestimmt ist: »Ich bin ein armes Opfer.«
Psychoanalytiker nutzen gerne den Vergleich, unser Denken sei der Herr und unser Unterbewusstsein sein Diener. Ein treuer Diener verrichtet ohne Widerrede die Aufgaben, die ihm sein Herr aufträgt. Falls er schon lange im Dienst steht, braucht man ihm schließlich kaum noch Anweisungen
Weitere Kostenlose Bücher