Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schenkel
Vom Netzwerk:
stecken in weißen Strümpfen. Keine Schuhe.
Ihre Gestalt scheint sich langsam im Licht des Raumes
aufzulösen. »Sieh sie dir nur an, sie ist ein Engel
geworden.« Er hört die Stimme einer Frau, seiner Frau?
Spürt, wie sich seine Kehle immer mehr und mehr zuzieht.
Merkt, wie die Übelkeit langsam in ihm hochkriecht. »Sie
ist ein Engel geworden. Ist sie nicht
wunderschön?«   
    Brechreiz nimmt ihm fast die Luft
zum Atmen. Er dreht sich um, rennt zur Tür. Reißt die
Tür fast aus den Angeln, so erscheint es ihm. Hastet die
Treppen hinunter. Er will nur fort. Hinaus über die Wiesen und
Felder dem Wald zu.
    Dort lässt er sich zu Boden
fallen. Mit dem Gesicht liegt er im kühlen Moos. Mit jedem
Atemzug kann er den kalten erdigen Duft des Waldes schmecken. Tief
aus seinem Inneren löst sich ein Schrei. Der Schrei
drängt nach draußen. Er schreit seine Verzweiflung
heraus. Der Schrei hatte nichts Menschliches mehr, einem waidwunden
Tier gleich schreit er seine Verzweiflung heraus.
    Von diesem Schrei erwacht er.
Schweißgebadet sitzt er aufrecht in seinem Bett.
    Der Traum wiederholt sich, Nacht
für Nacht. Manchmal liegt seine Frau vor ihm tot auf dem Bett.
An anderen Tagen wiederum ist an ihre Stelle das Mädchen
getreten, oder der kleine Junge. 

 
    Maria
Sterzer 42 Jahre, Bäuerin von Obertannöd
    Wie mein Mann und der Lois auf
unseren Hof zurückgekommen sind, haben sie mir gar nicht mehr
erzählen müssen. Schon von weitem an ihrem Gang habe ich
gesehen, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Wie sie dann
bei uns in der Stube gesessen sind, ganz bleich im Gesicht, da habe
ich es gewusst. In ihren Gesichtern hat man es lesen können,
das Grauen. In den ersten Nächten ist mein Mann dann immer
wieder aufgeschreckt. Der Anblick der Toten hat ihn nicht zur Ruhe
kommen lassen.
    Dass so was bei uns hier
heraußen passiert, kann sich einer eigentlich kaum
vorstellen. Aber, dass der Danner nicht in seinem Bett gestorben
ist, so richtig wundern tut mich das eigentlich auch nicht. Man
soll ja nichts Schlechtes über Tote sagen und deshalb spreche
ich auch nicht gerne über die Toten. Wissen Sie, wir leben
hier auf einem kleinen Dorf. Ein jeder Tratsch und Ratsch geht rum,
da sage ich lieber nicht viel.
    Ich sag nur soviel, dass ich sie
nicht gemocht hab, die Leute von dem Hof.
    Eigenbrötler waren das alles,
besonders der Alte war kein guter Mensch. Mit denen ist man nicht
warm geworden und ich hab auch nicht warm werden wollen. Nicht
einmal geredet habe ich mit denen, seit der Sache mit der
Amelie.
    Die Amelie, das war eine ganz
nette. Die war auf dem Hof vom Danner als Fremdarbeiterin. Das war
noch unterm Krieg. Da habens die Kriegsgefangenen und alle
möglichen anderen Leute auf den Höfen als Fremdarbeiter
arbeiten lassen. Bei uns war einer aus Frankreich, der
Pierre.
    Die Männer, die waren alle im
Feld, außer der Danner, der hat's irgendwie geschafft, nicht
eingezogen zu werden. Der war halt recht speziell mit denen von der
Partei damals.
    Mein Mann war bei der Wehrmacht
und darum ist uns der Pierre zugeteilt worden. Dem Danner die
Amelie. Da hat's genaue Vorschriften gegeben, wie man mit den
Fremdarbeitern umgehen soll. Ich habe mich aber nicht daran
gehalten. Der Pierre hat bei uns auf dem Hof gearbeitet, alleine
mit den kleinen Kindern und meiner Schwiegermutter, Gott hab sie
selig, hätte ich den Hof nie bewirtschaften können. Mein
Mann war im Feld und später in Gefangenschaft. Der ist erst
'47 wiedergekommen. Gott sei Dank ist er wiedergekommen.
    Der Pierre, der hat gerne in der
Landwirtschaft gearbeitet. Der kam auch von einem Bauernhof. Ohne
ihn wäre alles den Bach runtergegangen, der hat geschuftet,
als ob es sein Hof wäre. Wir sind gut mit ihm zurechtgekommen.
Selber hatten wir ja auch nicht viel, aber das Wenige haben wir mit
ihm geteilt. Wenn einer soviel arbeitet, dann muss er auch
anständig behandelt werden. Der ist doch auch ein Mensch und
kein Vieh.
    Das Gleiche habe ich auch unserem
Bürgermeister ins Gesicht gesagt, wie der mich hat verwarnen
wollen. Der hat nur gemeint: »Sterzerin pass auf, so manch
einer ist schon wegen weniger aufgehängt worden.« Sogar
einen anonymen Brief habe ich bekommen. Darin haben sie gedroht,
mich anzuzeigen. Ich habe trotzdem getan, was ich für richtig
hielt. Hab mich nicht unterkriegen lassen.
    Der Amelie ist es nicht gut
gegangen. Die ist beim Danner gar nicht gut behandelt worden. Zum
Essen hats fast nichts gekriegt von dem alten Geizhals und

Weitere Kostenlose Bücher