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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schenkel
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Kinder
waren es, die Männer waren ja alle noch im Feld oder in
Gefangenschaft.
    Die oberen Herren von der Partei
waren schon dabei abzuhauen. Feige Hunde waren das, denen mussten
wir noch beim Kofferpacken helfen. Die wollten nur schnell weg,
diese Herren. Uns fünfzehnjährige Kinder, die wir waren,
haben sie auf die Straße geschickt. Wir sollten auf die
Protestierer schießen. Auf die Alten und Frauen und Kinder
hätten wir schießen sollen.
    Da bin ich in dem Tumult
abgehauen. Hab mein Gewehr weggeworfen und bin runter zur Donau.
Ich hab mich dort versteckt im Keller eines ausgebrannten Hauses.
Am Abend bin ich im Schutz der Dunkelheit durch den Fluss geschwommen. Ich
bin ein guter Schwimmer.
    Damals hatte ich Angst. Einfach
nur Angst. Angst um mein Leben.
    Ich dachte, es sei das Schlimmste,
das ich je in meinem Leben erleben muss. 
    Auf der anderen Seite der Donau,
in Walch, hat mich eine alte Frau drei Tage versteckt. Die hatte
selbst nichts mehr. Hat mich versteckt, bis die Amis in die Stadt
rein sind. Sie hat mir noch alte Kleider von ihrem verstorbenen
Mann gegeben.
    Ich hatte doch noch die
Wehrmachtsuniform an, wenn mich die Amerikaner so erwischt
hätten, die hätten mich gefangen genommen. Die Nazis
hätten mich gleich erschossen oder aufgehängt, als
Vaterlandsverräter, als Deserteur.
    Von Walch bin ich zu Fuß nach
Hause. Fast eine Woche habe ich gebraucht, bis ich endlich daheim
war. Das ganze Land war nach dem Zusammenbruch irgendwie auf dem
Weg. Zerlumpte Gestalten habe ich gesehen, Tote,
Aufgehängte.
    Aber so ein Grauen wie auf diesem
Hof ist unbeschreiblich. So bestialisch, wie die hingemetzelt
wurden. Was kann das für einer sein, das war ein Ungeheuer,
ein Verrückter.
    Aber sagen Sie mir, warum auch die
Kinder? Warum die kleinen Würmer, frage ich Sie?
Warum?     
 
Der Du den Schacher am Kreuze
erhörtest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Der Du die Auserwählten
aus Erbarmen beseligst,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Der Du die Schlüssel des
Todes und der Hölle hast,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Der Du unsere Eltern,
Verwandten und Wohltäter von den Strafen des Fegefeuers
befreien wolltest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Dass Du Dich besonders jenen
Seelen, an die niemand auf Erden denkt, erbarmen wolltest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Dass Du sie alle verschonen und
ihnen verzeihen wolltest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Dass Du ihr Verlangen nach Dir
recht bald befriedigen wollest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Dass Du sie in die Gesellschaft
Deiner Auserwählten
aufnehmen und ewig beseligen wolltest,
wir bitten Dich, erhöre uns!
    Der Raum ist in gedämpftes
Licht getaucht. Er kann nicht sagen, ob die Vorhänge
geschlossen oder geöffnet sind. Er sieht den Raum vor sich, in
ein milchig schimmerndes Weiß getaucht. Wie durch einen
hauchdünnen Schleier.
    Er sieht die Möbel des
Raumes. Die Kommode, aus dunkelbrauner Eiche, schwer mit den drei
Schüben. Jeder der Schübe hat zwei Griffe aus Messing.
Diese sind matt, abgegriffen vom Gebrauch. Die Schübe
müssen an beiden Griffen zugleich gepackt werden, nur so kann
man sie öffnen. Es sind schwere Schübe. Über der
Kommode ein Bild. Ein Schutzengel, der zwei Kinder über einen
hölzernen Steg geleitet. Die Kinder gehen Hand in Hand. Ein
Junge und ein Mädchen. Unter dem Steg, am unteren Bildrand,
ein reißender Bach. Der Schutzengel in ein wallendes
weißes Gewand gekleidet. Breitet seine Arme schützend
über die Kinder. Barfuß geleitet er sie über den
wilden Bach. Im Hintergrund der Schatten einer Bergkette. Auf den
Gipfeln der Berge ist der weiße Schnee zu erkennen.
    Der Rahmen des Bildes vergoldet,
an manchen Stellen beginnt sich das Gold abzulösen. Darunter
liegt die weiße Farbe der Grundierung.
    Er weiß, auf der
gegenüberliegenden Seite des Zimmers befindet sich das Bett.
Daneben das Nachtkästchen.
    Beides aus der gleichen
dunkelbraun-farbigen Eiche. Auf dem Nachtkästchen stehen ein
Sterbekreuz, links und rechts Kerzenleuchter. Die Kerzen brennen.
Auf dem Bett liegt ein Mädchen. Fast noch ein Kind. Die Augen
geschlossen. Das Gesicht von einer durchsichtigen Blässe. Ihre
Haare, zu Zöpfen geflochten, hängen weit über die
Schultern herab. Um die Stirn einen Kranz aus Myrte gebunden. Die
Hände auf der Brust gefaltet. In die gefalteten Hände hat
jemand, vielleicht seine Frau, vielleicht die
Leichenwäscherin, ein Sterbekreuz gesteckt. Das Mädchen
gekleidet in ein weißes Kleid. Weiße Strümpfe. Die
Füße

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