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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schenkel
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Wald
gestreift, brachte Ewigkeiten auf einem Stein sitzend zu. Alles ist
ihm Recht gewesen, nur in sein Haus wollte er nicht
zurückkehren. Wollte die Enge nicht spüren, die
Begrenztheit des Lebens, seine Endlichkeit nicht sehen.
    Als die Anna ihm die Nachricht
brachte, war er erleichtert. Keine Trauer war in ihm, er war froh.
Ein Stein, der auf seiner Brust lag, war ihm genommen. Er konnte
wieder zu leben beginnen. Er fühlte sich frei. Frei wie ein
Vogel. Keiner hätte ihn verstanden.
    Der erste Trauermonat war noch
nicht zu Ende, als sein Verhältnis mit Barbara begann, er
zeigte keinerlei Scham oder Schuldgefühl. Er war ja frei. Zum
ersten und vielleicht einzigen Mal in seinem Leben fühlte er
sich frei.
    Zuerst erstaunte ihn ihr Interesse
an ihm. Er zweifelte an der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle zu
ihm. Die Bereitwilligkeit, mit der sie sich ihm jedoch hingab,
zerstreute den Zweifel in seiner Brust. Ja, steigerte sein
Verlangen nach ihr, nach ihrem Körper nur noch mehr. Ein
Körper, frei vom Odem des Todes, des Siechens. Ein
Körper, eingehüllt noch in den Geruch des Lebens, ein
Körper voll Gier nach Leben. Hemmungslos, lüstern gab er
diesem Drang, dieser Leidenschaft nach.
    Mochten alle anderen sein
Verhalten anstößig und unmoralisch finden. Er hatte bei
Barbara gefunden, was ihm bisher in seinem Leben verwehrt geblieben
war. Nicht nur in den letzten Jahren seiner Ehe. Diese seine Ehe
war immer mehr ein Zweckbündnis unter Gleichgesinnten gewesen.
Eine arrangierte Hochzeit, üblich unter Bauern. »Die
Liebe kommt mit den Jahren, Hauptsache, wir halten ›unser
Sach‹ zusammen.«
    Nach einem kurzen Augenblick der
Angst vor der Begierde, die er in Barbaras Nähe spürte,
lebte er seine Wollust ohne Rücksichtnahme aus. Als ihm
Barbara schließlich ihre Schwangerschaft eingestand, war er
glücklich über diesen Zustand. Erst allmählich wuchs
in ihm der Zweifel. Ihr Verhalten zu ihm änderte sich. Sie
verweigerte sich ihm immer öfter. Ihre Leidenschaft für
ihn wich einer immer unverhohleneren Verachtung. Kam er auf den
Hof, um sich mit ihr auszusprechen, ließ sie sich
verleugnen.
    Er jedoch konnte nicht mehr
zurück, hatte sich verändert. Hatte sich in eine nie
zuvor gekannte Abhängigkeit begeben, in einen
Rausch.
    Er kannte das Gerede im Ort.
Trotzig hatte er jedem gesagt, ob der es hören wollte oder
nicht, dass der Bub sein Bub sei. Sein Josef. Hatte sich eintragen
lassen auf dem Standesamt. Er war der Kindsvater, daran hielt er
sich fest, wie ein Ertrinkender an dem Seil, das man ihm
zuwirft. 

 
    Anna Meier Kramerin, 55 Jahre
    Das Elend da draußen ist
einfach furchtbar. Bei uns im Ort geht seitdem die Angst um. Ein
jeder hat Angst. Wer kann so etwas nur machen. Wer kann einfach
hergehen und die Leute im eigenen Haus erschlagen. Und was das
Schlimmste ist, die kleinen Kinder auch noch mit. Der kann doch nur
närrisch sein, der, der so was macht. Total verrückt. So
was macht doch kein gesunder Mensch. Nein, so was macht kein
Gesunder.
    Bei der Beerdigung war der ganze
Friedhof voll mit Menschen. Ich hab noch nie so viele Menschen auf
einer Beerdigung gesehen. Von überall her sind sie gekommen.
Viele der Gesichter hab ich gar nicht gekannt und kenn doch durch
mein Geschäft jeden hier im Umkreis. Die kaufen doch alle bei
mir ein. Aber da waren Leute bei der Beerdigung am Friedhof, die
habe ich mein ganzes Leben noch nicht gesehen. Die waren nicht aus
unserer Gegend, wie zur Dult oder zum Volksfest sinds gekommen. Und
geschaut habens und gegafft.   
    Weil's doch in der Zeitung
gestanden ist, das mit dem »Mordhof«.
    »Mordhof« ist in der
Zeitung gestanden. Der von der Zeitung war sogar bei mir im Laden
und wollte mich ausfragen. Im ganzen Ort ist der rum.
Anschließend hat er diese furchtbare Geschichte von dem
»Mordhof« geschrieben. Die Leute sind bis aus der Stadt
raus zu uns auf den Friedhof. Furchtbar. Einfach
schrecklich.
    Wann ich die Spangler Barbara das
letzte Mal gesehen habe? Warten Sie, gesehen habe ich sie genau
eine Woche vor ihrem Tod. Am Freitag. Sie war bei uns im
Geschäft und hat ein paar Kleinigkeiten eingekauft. Bei der
Gelegenheit habe ich sie noch gefragt, ob sie schon eine neue Magd
hätten, denn ich wüsste eine ganz fleißige für
sie.
    Die kann gleich an Josephi bei uns
anfangen, kannst ihr ausrichten, hat die Barbara noch gemeint. Der
Traudl Krieger hab ich dann auch so Bescheid gegeben.
    Ich mach mir noch solche
Vorwürfe, aber ich hab doch nicht wissen

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