Tante Dimity und das verborgene Grab
Geschichten hören möchte, aber ich täte es lieber bei einem schönen, heißen Kakao.«
»Herr Pfarrer, warten Sie …«, fing ich an, als Bills Gestalt sich weiter oben aus dem Nebeldunst schälte. Schuldbewusst murmelte ich:
»Vermutlich hast du meinen Zettel gefunden, hm?«
»›Keine Bewegung‹?«, sagte er und verschränkte die Arme. »›Wir haben Sie umstellt!‹ –
hast du dir das ungefähr so vorgestellt? Handelt es sich dabei um den Majestätsplural oder um den Autorenplural?«
Ich ließ den Kopf hängen. Eigentlich handelte es sich eher um den martialischen Plural.
»Ich muss dir wohl gar nicht erst erklären, was passiert wäre, wenn du in den Fluss gestolpert wärst«, sagte Bill, »oder wenn Sally und Katrina sich als zwei wirkliche Verbrecher entpuppt hätten. Ich werde dir auch bestimmt nicht beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man mitten in der Nacht aufwacht und merkt, dass seine Frau verschwunden ist.«
»Bill …«, stammelte ich, aber er bedeutete mir zu schweigen.
»Ich möchte nur sagen, wenn du jemals wieder so etwas tust …« – er beugte sich vor, bis ich gezwungen war, ihm in die vorwurfsvollen Augen zu sehen –, »dass mich das nicht im Geringsten überraschen würde. Deine Mutter sagte, du seist ein Dickkopf, und sie hatte Recht.«
Ich schmiegte mich in seine Arme. »Es tut mir Leid, Bill.«
»Es wird dir erst recht Leid tun«, sagte Bill,
»wenn ich Derek und Emma von deinen Eskapaden erzähle.« Er drehte sich zum Pfarrhaus um.
»Wie war das noch mal? ›Keine Bewegung – wir haben Sie umstellt!‹?«
22
IN DER BIBLIOTHEK war es herrlich warm und hell. Im Kamin prasselte ein munteres Feuer, alle Lampen brannten, und es standen genügend Sitzgelegenheiten für die feuchte, verfrorene Gesellschaft bereit. Der Pfarrer saß in seinem schä
bigen Sessel, ihm gegenüber auf dem Sofa hatten die zwei Sündenböcke Platz genommen, während Bill und ich das verdächtige Paar von zwei Gobelinstühlen aus beobachteten, die aus dem Speisezimmer gebracht worden waren.
Sally und Katrina starrten uns trotzig an. Sally hatte ihre Kapuze in den Kragen ihres königsblauen Trainingsanzugs gestopft und ihre silbergeränderte Brille trockengewischt, ehe sie ihre Laufschuhe entschlossen auf den Teppich pflanzte. Nun saß sie da, grimmig, rundlich und mit rotem Gesicht, wie ein Feuerwerkskörper, der jeden Moment losgehen konnte. Katrina, in seidigen schwarzen Joggingshorts und einem grauen Sweatshirt mit Kapuze, hatte den Kakao, den Lilian ihr anbot, verächtlich abgelehnt und stattdessen ein Glas Wasser verlangt.
Der Pfarrer hatte sich jegliche Unterhaltung verbeten, bis er mit seiner ersten Tasse Kakao fertig war, deshalb hatte ich Zeit, zwei weitere Gobelinstühle zu bewundern, die noch unbesetzt waren. Einer war offenbar für Lilian bestimmt, die wieder in die Küche gegangen war, um einen weiteren Topf Milch heiß zu machen, aber für wen war der zweite?, fragte ich mich.
Das Rätsel wurde kurz darauf gelöst, als es klingelte und Lilian in den Flur eilte, um kurz darauf mit Adrian Culver zurückzukommen, der etwas zerzaust aussah und ein grimmiges Gesicht machte. Sowie Katrina ihn erblickte, war ihre Angriffslust wie weggeblasen.
»Dr. … Dr. Culver«, stammelte sie. »Was machen Sie denn hier?«
»Das wollte ich Sie auch gerade fragen«, sagte Adrian. Er strich sich das ungekämmte Haar aus der Stirn und wandte sich an Lilian. »Vielen Dank, dass Sie mich angerufen haben, Mrs Bunting. Wenn meine Assistentin Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat …«
Lilian deutete mit einer Kopfbewegung auf den freien Stuhl. »Bitte, Dr. Culver, setzen Sie sich ans Feuer. Möchten Sie eine Tasse Kakao?«
Adrian zögerte, offenbar hatte er nicht mit einer so freundlichen Aufnahme gerechnet. »Ja, bitte.«
»Ich bin gleich zurück«, sagte Lilian. Sie sah ihren Mann an. »Fang aber nicht ohne mich an, Teddy.«
»Das würde ich nicht, mein Schatz.« Der Pfarrer lehnte sich gemütlich in seinem Sessel zurück und schwieg, bis Lilian eine zweite Runde Kakao ausgeschenkt und sich zwischen ihn und Adrian Culver gesetzt hatte.
»So«, sagte sie munter, »wer fängt mit seiner Geschichte an?« Sie deutete auf Katrina. »Miss Graham, denke ich. Bitte, meine Liebe, erzählen Sie uns doch, was Sie zu so später Stunde in einer so ungemütlichen, feuchten Wiese gemacht haben.«
»Ich weiß gar nicht, was diese ganze Aufregung soll«, sagte Katrina unglücklich. »Wir haben Gymnastik gemacht,
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