Tante Dimity und das verborgene Grab
kühlte meinen Atem. Ich hielt das Licht der Stablampe auf die Erde gerichtet, und begleitet von dem Murmeln des Flusses auf meiner rechten Seite, lief ich zuversichtlich den Weg entlang. Ich kam mir vor wie ein Sonderkommando vor einem Einsatz, und meine Bewegungen schienen mir schnell wie die eines Panthers, leise wie eine Schlange und mutig wie die einer Löwin – bis ich bemerkte, dass mein Plan doch nicht so genial war. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ich wusste nicht, wie weit es noch bis zu der Wiese unterhalb des Pfarrhauses war oder ob ich nicht schon daran vorbeigelaufen war. Hinter dem Schilf am Ufer hörte ich das monotone Rauschen des Flusses, aber sehen konnte ich nichts. Ahnungslos irrte ich im Nebel umher, der inzwischen so dicht war, dass ich den Fuß heben musste, um die Schnürsenkel zu erkennen.
»Na toll«, murmelte ich und versuchte vergebens, in den Nebelschwaden etwas auszumachen.
»Wenn ich um Hilfe rufe, retten mich die Einbrecher vielleicht.« Ich hätte meinen dummen Schädel am liebsten gegen den nächsten Baumstamm geschlagen, als ich plötzlich ein Geräusch hörte.
Reglos stand ich da und lauschte gespannt, um diesen flüchtigen Laut vom ständigen Murmeln des Flusses zu unterscheiden. Ich schloss die Augen, um mich besser zu konzentrieren, und hörte es wieder – ein schwaches, rhythmisches Stampfen, das von links zu kommen schien.
Ich steckte die nutzlose Stablampe in die Tasche und folgte der Richtung, aus der das Geräusch kam. Ich war nicht mehr als fünf Meter gegangen, als die Nebelbank aufriss und ich merkte, dass ich mich am Rande der Pfarrwiese befand. Plötzlich fröstelte ich und ließ mich auf die Knie fallen, dankbar, dass ich die Lampe ausgeschaltet hatte, ehe ich aus dem Nebel getreten war.
Leichte Dunstschleier wallten und wogten über der Wiese wie ein Leichentuch. Klamme Nebelfinger fuhren über mein Gesicht, legten sich mir um den Hals und trieben träge hinunter in die Senke, wo Dick das zertrampelte Gras bemerkt hatte.
Das stampfende Geräusch kam aus der Senke.
Während ich auf allen vieren näher kroch, konnte ich auch andere Geräusche ausmachen. Neben dem Stampfen hörte ich auch ein Ächzen und Stöhnen. Es klang nicht so sehr nach einem Raumschiff von Außerirdischen, sondern eher als würde ein Mensch hier zusammengeschlagen.
Ich schluckte hart und wünschte mir nichts sehnlicher, als Bill neben mir zu haben. Mit einem Mal fühlte ich mich gar nicht mehr wie ein Sonderkommando – aber ich konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Irgendjemand musste dafür sorgen, dass dieses schreckliche Stöhnen aufhörte, und es sah ganz so aus, als ob ich dieser Jemand sei. Ich fasste die Notleuchte fester, um notfalls damit zuzuschlagen, und kroch weiter in Richtung Senke. Als ich näher kam, teilte sich der Dunst, und keine zehn Meter von mir entfernt nahm ich undeutlich zwei Gestalten wahr. Ich hielt den Atem an und fummelte an meiner Lampe herum, aber noch ehe ich den Schalter gefunden hatte, fiel von oben ein blendend heller Lichtkegel auf mich.
»Ach«, sagte eine freundliche, überraschte Stimme oben von der Böschung her, »sind Sie das dort unten, Mrs Pyne? Und … Miss Graham, nicht wahr?«
»Herr Pfarrer?«, riefen Sally und Katrina gleichzeitig »Keine Bewegung!«, rief ich und sprang auf. »Wir haben Sie umstellt!«
»Lori?«, kam Bills Stimme von oben.
»Bill?«, rief ich aus.
»Lori?«, sagte Sally Pyne und blickte unter ihrer Kapuze von einer Seite zur anderen. »Bill?«
Der Pfarrer räusperte sich. »Also, wo wir uns nun vorgestellt haben, möchte ich Sie alle in die Bibliothek einladen. Lilian macht uns Kakao.
Kommen Sie.«
»Ich kann alles erklären, Herr Pfarrer«, sagte Sally Pyne und machte sich daran, schnaufend die Böschung hinaufzuklettern.
»Ich auch!«, rief ich. »Das sind Ihre Einbrecher, Herr Pfarrer! Diese beiden haben das Schriftstück von Ihrem Schreibtisch gestohlen!«
»Einbrecher!« Sally blieb stehen und sah mich entrüstet an. »Was erlauben Sie sich!«
»Das will ich Ihnen sagen.« Ich marschierte zu ihr hinüber. »Ich habe drei unabhängige Zeugen, die beschwören können, dass sie Sie und Ihre Komplizin Sonntagnacht hier gesehen haben.«
»Ich gebe gern zu, dass ich Sonntagnacht hier war«, erklärte Sally ungerührt. »Aber ich verbitte mir doch sehr die Bezeichnung Komplizin.
Katrina ist …«
»Danke, Mrs Pyne«, unterbrach der Pfarrer sie. »Sie können sich sicher vorstellen, dass ich alle
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