Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Bruders des Mordes bezichtigt«, fragte Julian.
»Das musste ich nicht«, antwortete Lady Havorford. »Als er die Memoiren sah, wusste er genau, was er getan hatte.« Ihre hellblauen Augen zogen sich zusammen. »Ich sagte zu ihm, er habe kein Recht auf das Erbe, und er stimmte mir zu, aber anstatt seinen Anteil auf meinen Sohn zu übertragen, warf er es einem Haufen Fremder vor die Füße.«
»Das Geld hat einer Menge Menschen geholfen«, sagte ich.
»Schmiergeld für das eigene schlechte Gewissen«, sagte Lady Havorford sanft, aber voller Gift. »Der erste Schritt auf seinem absurden Weg, sich rein zu waschen von seiner Schuld.
Armut, Arbeiten und Beten – kommt Ihnen das bekannt vor, Vater Bright? Christopher glaubte, er könne auf diesem Weg seine Seele reinigen, aber ich weiß es besser.« Sie hielt inne, um einen der diamantenen Ohrringe zu richten, und fügte fast beiläufig hinzu: »Ich war erleichtert, als er verschwand, und ich habe nicht die Absicht, ihn hier aufzunehmen.«
Gelächter drang aus dem Flur, gefolgt von einigen »Fröhliche Weihnachten«Rufen. Ich zuckte zusammen und stieß mit dem Fuß gegen die Reisetasche. Sie fiel zur Seite, und Anne Somervilles braunes Pferd purzelte heraus und landete auf dem Aubusson-Läufer. Hastig murmelte ich eine Entschuldigung und bückte mich nach dem verschlissenen Spielzeug.
»Lancaster?« Überraschung und Ekel vermischten sich in Lady Havorfords Stimme. »Erzählen Sie mir nicht, dass Christopher noch immer dieses fiese alte Ding mit sich herumschleppt.«
Ich sah verwirrt zu ihr hoch. »Lancaster?«
»Christopher hat es nach seinem echten Pferd benannt.«
Ich erhob mich mit dem kleinen Pferd in den Händen. »Lancaster gehört Kit?«
»Er hatte ihn schon als kleiner Junge«, sagte Lady Havorford. »Eine Frau aus der Nachbarschaft hat es für ihn genäht. Auch so eine mitfühlende Seele. Sie wohnte in einem Cottage am Ende unseres Reitwegs.«
Ich spürte, wie meine Knie zitterten, und starrte auf das geliebte, kleine Pferd. »Wie hieß diese Nachbarin?«
»Westwood«, sagte Lady Havorford. »Miss Dimity Westwood.«
20
IRGENDWO IN DEN äußersten Winkel meines Gedächtnisses klingelte ein Glöckchen, und ich befand mich plötzlich wieder in meinem Wohnzimmer … die Schwestern Pym saßen mir gegen über und berichteten von ihrem flüchtigen Treffen mit Kit.
Es war recht unheimlich , um die Wahrheit zu sagen . Er erinnerte uns so sehr …
… an den armen Robert Anscombe , der vor so langer Zeit starb …
»Lady Havorford«, begann ich mit zittriger Stimme, nachdem ich wieder in die Gegenwart zurückgekehrt war, »lautete Ihr Mädchenname etwa Anscombe?«
»Ursprünglich ja«, bestätigte sie. »Später wurde Anscombe-Smith daraus. Meine Stiefmutter bestand darauf, ihren Namen mit dem unsrigen zu verbinden, als sie Papa heiratete.«
Ich sah Julian an und lachte ungläubig.
»Christopher Anscombe-Smith«, sagte ich. »Kit Smith. Smitty.« Er sah mich verständnislos an.
»Kit ist in Anscombe Manor aufgewachsen, Julian. Deshalb kannte er den Reitweg. Als kleiner Junge war er Dimitys Nachbar .«
Lady Havorford bedachte mich mit einem höflichen, aber völlig desinteressierten Blick. »Ich gebe nicht vor zu wissen, wovon Sie reden …«, sie hob die Hand, um jede Erklärung abzuwehren, »… und es ist mir auch völlig egal. Ich habe Ihnen die Wahrheit über meinen Bruder gesagt.
Mir persönlich ist es völlig gleichgültig, ob Sie mir glauben oder nicht. Ich muss mich jetzt um meine Gäste kümmern, wenn Sie mich entschuldigen …«
»Lady Havorford«, sagte Julian eindringlich.
»Sie müssen Ihren Bruder doch einmal geliebt haben. Wenn Sie auf Ihre innere Stimme hören, spüren Sie sicher, dass diese Liebe noch nicht erloschen ist, trotz allem, was geschehen ist.
Wollen Sie uns nicht eine Botschaft für ihn mitgeben? Vielleicht ist es die letzte Gelegenheit.«
Lady Havorford erhob sich und warf Julian einen herablassenden Blick zu. »Ja, Sie können meinem Bruder eine Botschaft überbringen, Vater Bright. Sagen Sie ihm, dass er in meinen Augen nichts mehr wiedergutmachen kann. Von mir aus soll er in der Hölle schmoren.«
Sie glättete ihr Kleid und schwebte aus der Bibliothek. Ihr edler Kopf war hoch aufgerichtet, bei jedem ihrer eleganten Schritte schienen kleine Wellen über ihr Satinkleid zu laufen. Als sich die Doppeltüren hinter ihr geschlossen hatten, ging Julian zum Schreibtisch hinüber.
»Julian«, sagte ich. »Budge kann
Weitere Kostenlose Bücher