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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Lady Havorford bot uns einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich auf eine äußerst elegante Weise in den Stuhl, der am nächsten am Kamin stand. Ihr Blick fiel auf Kits Reisetasche, die ich zu meinen Füßen abgestellt hatte, aber wenn sie sie erkannte, ließ sie sich nichts anmerken. »Hat Christopher Sie gebeten, zu mir zu kommen?«
    »Dazu war er nicht in der Lage«, antwortete Julian.
    »Wie haben Sie mich dann gefunden?«
    Ich warf Julian einen verwunderten Blick zu.
    Lady Havorfords Fragen kamen mir äußerst unpassend vor. Sie hatte sich weder nach der Ursache von Kits Krankheit noch nach der Prognose der Ärzte erkundigt. Sie hatte auch nicht wissen wollen, wie Julian und ich ihren Bruder kennengelernt hatten oder in welcher Beziehung wir zu ihm standen. Es war schwer zu ergründen, was hinter den hellblauen Augen vorging, aber bislang hatte sie keinerlei Anzeichen schwesterlicher Besorgnis erkennen lassen.
    »Das ist eine etwas verschachtelte Geschichte, Lady Havorford«, sagte Julian zu ihr. »Um es kurz zu machen – Mrs Shepherd und ich haben bezüglich Ihres Bruders einige Nachforschungen angestellt, die uns zur Sankt-Joseph-Kirche in Stepney führten. Der Vikar gab uns Ihren Namen.«
    Lady Havorfords Lippen zuckten verärgert, aber sie sagte nichts.
    »Ihr Bruder braucht jemanden, der sich um ihn kümmert, wenn er wieder auf dem Weg der Besserung ist«, fühlte Julian sachte vor.
    »Ich glaube nicht, dass Christopher von mir verhätschelt werden möchte«, sagte Lady Havorford. »Er hat sich vor vier Jahren von seiner Familie losgesagt, als er sein Erbe diesem kleinen Priester in Stepney vermachte, diesem perversen Papisten.«
    Ich wollte protestieren, aber Julian stieß mich mit dem Fuß an, und ich konnte gerade noch den Mund halten.
    »Es gibt Stimmen«, sagte Julian vorsichtig,
    »die dafür plädieren, dass Ihr Bruder zu seinem eigenen Schutz eingesperrt werden sollte, wenn er wieder ganz gesund ist. Sind Sie auch dieser Meinung, Lady Havorford?«
    Ich beugte mich vor und beobachtete voller Faszination, wie ihre Augen feucht wurden und zwei perfekt geformte, birnenförmige Tränen wie auf Kommando ihr bewegungsloses Gesicht herabrollten.
    »Es kann schon sein, dass mein Bruder psychisch krank ist«, sagte sie gefasst. »Aber das wären Sie wahrscheinlich auch, wenn Sie Ihren eigenen Vater umgebracht hätten.«

19
    LADY HAVORFORD REGISTRIERTE unsere  entsetzten Blicke mit kühler Gelassenheit. »Sie glauben mir nicht. Niemand will es glauben.
    Aber mein Bruder kennt die Wahrheit genauso gut wie ich.«
    »Würden Sie diese Wahrheit mit uns teilen?«, fragte Julian.
    »Sind Sie sicher, dass Sie sie hören wollen?«
    erwiderte sie.
    »Aber ja«, sagte Julian.
    Lady Havorford trocknete ihre Tränen mit einem spitzenbesetzten Taschentuch, das sie aus dem Ärmel ihres Satin-Jacketts gezogen hatte, und erhob sich. Ihr Kleid raschelte, als sie zu dem Mahagoni-Schreibtisch ging, wo sie den Hörer eines weißen Telefons abhob. Sie sprach ein paar kurze Worte hinein, bevor sie wieder zu ihrem Stuhl zurückkehrte.
    »Man wird uns nicht stören«, sagte sie und fügte vielsagend hinzu: »Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass ich meinen Ehemann bei der Begrüßung der Gäste allein lasse.«
    Mein Blick wanderte von ihrem unbeweglichen Gesicht zu dem Taschentuch, das sie in ihrer Hand zusammengedrückt hatte, und ich fragte mich, was sie wohl zu erzählen hatte. Ich glaubte keine Sekunde, dass Kit jemanden umgebracht hatte, schon gar nicht seinen Vater. Vielleicht dachte ich mit einem Blick auf Lady Havorfords weiße Knöchel, ist nicht ihr Bruder verrückt, sondern sie.
    »Das Merkwürdige daran«, sinnierte sie, »das, was niemand versteht, ist die Tatsache, dass Christopher Papa stets verehrt hat. Sir Miles war ein Held, müssen Sie wissen, ein hoch dekoriertes Mitglied der elitärsten Truppe der Bomberstaffel.«
    »Ihr Vater war ein Pathfinder«, sagte ich und dachte an die Orden in der Tasche.
    Meine Bemerkung schien Lady Havorford keineswegs zu überraschen. »Sie werden sicherlich von den Vorlesungen über die Pathfinder-Truppe gehört haben, die Sir Miles in Oxford hielt.«
    »S-sicher«, stammelte ich. Ein weiteres Puzzleteil hatte seinen Platz gefunden. Kits Vater hatte also in der Tat Vorlesungen an der Universität gehalten, so wie er es Luke Boswell erzählt hatte.
    »Wir wussten von den Vorlesungen, aber nicht, um welche Themen es sich handelte.«
    Auf Lady Havorfords Stirn zeigten sich

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