Tante Dimity und der Kreis des Teufels
Ich hielt mich kurz an den Gitterstäben fest, dann drehte ich mich um und warf einen ärgerlichen Blick auf das Tagebuch.
Tante Dimity redete Unsinn. Sie schien zu denken, dass Nicole, »die Bewohnerin dieses Hauses«, mich Adam in die Arme getrieben hät-te, aber nichts war der Wahrheit ferner. Meine Gastgeberin hatte sogar versucht, mich von Adam fern zu halten. Alle – Nicole, Guy und jetzt auch Dimity – wollten mich von Adam fern halten. Selbst Reginald schien mich mit leisem Vorwurf anzusehen.
Ich hatte es satt, mich bevormunden zu lassen.
Ich war kein Kind. Niemand hatte ein Recht, mir vorzuschreiben, wer mein Freund sein durfte oder nicht.
Ich nahm das blaue Tagebuch, und zusammen mit Reginald schloss ich es im Schrank ein, dann küsste ich Teddy auf die Nase und setzte ihn wieder auf den Nachttisch.
In der Eile stieß ich das gerahmte Bild von Bill und den Kindern um, aber als es zu Boden fiel, beachtete ich es kaum.
Die Flügeltür zur Bibliothek ließ sich mit einem Mal so leicht öffnen, dass ich fast ins Zimmer gefallen wäre. Hatch hatte sich also endlich mit seinem Ölkännchen der Scharniere angenommen.
Ohne Umschweife ging ich zu dem Eichentisch und blieb mit gerunzelter Stirn davor stehen. Ehe ich mit Captain Manning zum Essen gegangen war, hatte ich den grauen handgeschriebenen Katalog auf Edwards Botschaften gelegt. Jetzt lag er an der Seite, neben dem Exemplar von Shuttleworth’ Vögel , das Edwards Widmung enthielt.
Ich setzte mich auf den hölzernen Sessel und sah die Zettel durch. Auch sie lagen jetzt anders.
Als ich weggegangen war, hatte das Briefchen, in dem Edith Ann erwähnt war, ganz unten im Stapel gelegen. Jetzt lag es zuoberst.
Ich bezweifelte, dass die Hatches etwas damit zu tun hatten. Sie hatten strenge Anweisung, in der Bibliothek nichts anzurühren. Nicole andererseits konnte kommen und gehen und sich ansehen, was sie wollte. Es war möglich, dass sie sich am Nachmittag die Zeit damit vertrieben hatte, Edwards Botschaften an Claire zu lesen.
Ich fragte mich, was sie wohl damit anfangen würde. Sie schien wenig über ihre Großtante Claire zu wissen und sich noch weniger für sie zu interessieren. Für sie war Claire eine nebelhafte Gestalt aus einer anderen Zeit, die gestorben war, ohne viele Spuren zu hinterlassen. Ich hoffte, diese Briefchen hätten sie umgestimmt, hätten Nicole so stark berührt wie mich selbst. Für mich war Claire lebendig, ein Mädchen aus Fleisch und Blut, das einen Jungen geliebt hatte, obwohl ihr Vater es missbilligte. Ein Leben, in dem es eine solche Leidenschaft gegeben hatte, konnte nicht sinnlos gewesen sein, egal wie kurz es war.
Später wollte ich Nicole fragen, ob sie am Nachmittag hier gesessen hatte. Dann knipste ich die Schreibtischlampen an und öffnete den grauen Katalog.
Der erste Eintrag war vom 21. Juli 1914, als Josiah vermutlich seine erste Büchersendung erhalten hatte. Der letzte Eintrag trug das Datum 4. September 1917. Der Verfasser des Katalogs war gründlich gewesen, er hatte gewissenhaft alle wichtigen Einzelheiten über jedes Buch festgehalten – es war jedoch nicht Edward gewesen. Die Handschrift des unbekannten Bibliothekars war sauber und ordentlich, wirkte weder verkrampft noch ausufernd und war leicht lesbar – kein Vergleich mit Edwards unbekümmertem Gekrakel.
Ich klappte das Buch zu, legte es beiseite und widmete mich der mühsamen Aufgabe, die Bü-
cher wieder in die Holzkiste zu packen. Diese Arbeit hätte ich auch Hatch überlassen können, aber ich hatte das Bedürfnis, alle diese Bücher noch einmal in die Hand zu nehmen, ehe sie an ihren staubigen Stammplatz im abgelegenen Ostturm zurückkehrten.
Während ich jeden einzelnen Band wieder in die Kiste packte, nistete sich ein unbefriedigendes Gefühl bei mir ein. Es war, als sei mir ein wichtiger Hinweis durch die Hände gegangen, ohne dass ich ihn verstanden hatte, und als wartete er jetzt in einem entfernten Winkel meines Gehirns darauf, wahrgenommen zu werden. Aber je an-gestrengter ich mich bemühte, ihn zu entdecken, desto mehr verflüchtigte er sich.
Mein Kopf wehrte sich jedoch bald gegen diese Anstrengung, und meine Aufmerksamkeit schweifte ab. Kein Zweifel, meine ersten drei Ta-ge in Northumberland waren ziemlich ereignis-reich gewesen. Ich war knapp dem Tod entron-nen, war in den Armen eines gut aussehenden fremden Mannes aufgewacht, hatte eine aufre-gende Liebesgeschichte entdeckt und war vom Militär rekrutiert worden, bei einer
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