Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
stammten.
Hatte Nell sich über mich lustig gemacht?
Wollte sie mir auf diese Weise mitteilen, dass sie wusste, wer Simon quälte? Oder wollte sie mich wissen lassen, dass sie sowohl Briefschreiberin als auch Brandstifterin war und dass ich es nie beweisen würde können, wie sehr ich mich auch anstrengte?
Meine Allianz mit Simon war für sie mit Sicherheit kein Geheimnis. Oliver hatte schon eine ganze Menge erraten, als er mich und Simon im Rosengarten beobachtet hatte. Nell konnte zweifellos noch mehr erahnen. Sie kannte mich und wusste von meiner Vorliebe, rätselhaften Vorkommnissen auf den Grund zu gehen, wie ich es schon einige Male in unserem Dorf getan hatte.
Wenn sie gesehen hatte, wie Simon mir im Rosengarten den Brief überreicht hatte, dann konnte sie aus meinem Schweigen bezüglich dieser Angelegenheit schließen, dass ich mit ihm zusammenarbeitete.
Mir war vor Mutmaßungen fast schwindelig.
Ich wusste nicht, was ich glauben sollte, aber wenn Nell die Mistgabel nicht mitgenommen hätte, hätte ich wahrscheinlich im Feuer herumgestochert, um herauszufinden, ob es sich wirklich um flohverseuchte Decken handelte oder ob nicht doch die Kleidungsstücke eines Brandstifters vernichtet wurden. Was wiederum die Frage aufwarf, ob Nell die Mistgabel absichtlich mitgenommen hatte? Edwins Enkelin mochte rätselhaft sein, aber vormachen ließ sie sich nichts.
Eine übel riechende Rauchschwade trieb mich zurück in den Schutz des Innenhofes, wo ich stehen blieb, um mir den Staub von den Schuhen zu schütteln. Als ich mich aufrichtete, sah ich Emma, die in der Tür der nächstgelegenen Werkstatt stand. Sie grinste über beide Ohren.
»Komm mal her, Lori!«, rief sie. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Ich folgte ihr in eine gut ausgestattete Zimmermannswerkstatt, die in einem Steinhaus untergebracht war. Der große Raum hatte eine niedrige Decke, war dafür aber lang gestreckt und verfügte über eine schier unglaubliche Menge von Werkzeugen zur Holzbearbeitung: Sägen in verschiedenen Formen und Größen, Bohrer, Hobel, Zwingen, Meißel, Töpfe mit Nägeln, Eimer mit Klebstoff, alles was man brauchte, um alles, was aus Holz war, herzustellen oder zu reparieren.
Im Augenblick benutzte niemand diese Werkzeuge. Das Kreischen der Bandsäge war verstummt, und der einzige Mensch im Raum war ein verhutzelter alter Mann, der auf einem Windsor-Stuhl an einem Holzofen saß. Sein kahler Kopf war so braun und gefleckt wie die Schale einer Walnuss, und über einem mottenzerfressenen grünen Pullover trug er eine geflickte Zimmermannsschürze, dazu eine braune Arbeitshose.
Emmas Augen leuchteten, als wir uns dem alten Mann näherten, aber sie sprach erst, als wir vor ihm standen.
»Mrs Lori Shepherd«, sagte sie pompös, »es ist mir eine große Freude, Ihnen jemanden vorstellen zu dürfen … Mr Derek Harris.«
»Sie … Sie sind Derek Harris?« Ich starrte den alten Mann mit offenem Mund an. »Der echte Derek Harris?«
»Wer sonst?«, antwortete er und schenkte mir ein fast zahnloses Lächeln. »Nehmen Sie sich
’nen Stuhl. Emma und ich sprechen grad von den alten Zeiten.«
»Das glaube ich gerne.« Ich schob einen schweren Eichenstuhl heran und setzte mich zu ihm.
»Mr Harris hat Derek alles beigebracht, was er über Holz weiß«, gab Emma das Stichwort.
»Manche Dinge kann man niemandem bei—
bringen«, räumte Mr Harris großzügig ein. »Derek, wie Sie ihn nennen, hatte ein gottgegebenes Talent dafür, mit Holz zu arbeiten, aber es ist schon wahr, ich half ihm dabei, es richtig einzusetzen. Er lief hinter mir her wie ’n kleines Schoßhündchen, wenn er aus der Schule kam.«
Der alte Mann zeigte mit einem gichtigen Finger auf den Holzofen. »Manchmal fand ich ihn hier morgens auf dem Fußboden, schlafend, in eine Decke gehüllt. Manche Leute hielten ihn für meinen Lehrling, keinen blassen Schimmer hatten die, dass er der Sohn und Erbe Seiner Lordschaft war.«
Mr Harris gönnte sich ein nostalgisches Kichern, mein Blick wanderte zu der Stelle, wo der junge Derek geschlafen hatte. Es wird ihn gefreut haben, dachte ich, wenn er irrtümlich für den Lehrling des alten Mannes gehalten wurde. Der Prozess der Entfremdung von seinem Vater hatte damals bereits begonnen.
»Mr Harris hat noch heute Lehrlinge«, informierte mich Emma. »Aus allen Ecken Englands kommen Leute, um sich von ihm unterrichten zu lassen. Den alten Handwerkern in den anderen Werkstätten geht es ebenso.«
»Es war die Idee
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