Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
ich.
»Der Ärmste«, flötete Claudia. »Es muss furchtbar für ihn sein, mit Gina eingesperrt zu sein, während Sie sich mit Simon vergnügen.«
»Bill kam hierher, um zu arbeiten«, sagte ich.
Claudia hob die Augenbrauen. »Nur um zu arbeiten?«
Sowohl Derek als auch Oliver bekamen mit, dass sie da etwas andeutete, und wären sicherlich eingeschritten, hätte ich sie nicht mit einem sanften Lächeln beruhigt. Dank Simon war ich gegen Claudias schülerhaftes Sticheln immun.
»Bill arbeitet, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen«, sagte ich lässig. »Das ist ein Konzept, dass Sie wahrscheinlich nicht begreifen können, Claudia, aber vielleicht erklärt es Ihnen Ihr Gatte eines Tages, wenn er mal zu Worte kommt. Gute Nacht miteinander.«
Ich verließ den Raum, bevor Claudia Zeit hatte, die wenigen Gedanken zu sammeln, die ihr zur Verfügung standen, und ging nach oben. Ich machte einen kurzen Umweg und schaute bei Simon hinein. Zufrieden sah ich, dass er friedlich schlief. Ich glättete seine Decke, so sanft wie ich es bei meinen eigenen Söhnen gemacht hätte, schnappte mir die Hühnchen-Sandwiches und machte mich auf den Weg zum Kinderzimmer.
Die Stimmen aus dem Salon verebbten, während ich nach oben stieg, und auf dem Flur des dritten Stocks waren sie nicht mehr zu hören.
Das Licht, das von der Treppe in den Korridor fiel, war hell genug, so dass ich die Tür zum Kinderzimmer schnell gefunden hatte. Davor blieb ich stehen und lauschte.
War Nell auf ihrem Zimmer und schrieb ein Essay? Oder befand sie sich im Kinderzimmer und arbeitete an einer anderen aufregenden Aufgabe? Ich bückte mich, um durch das Schlüsselloch zu spähen. Der Raum war dunkel und still wie eine Grabkammer. Simons bösartiges Biest –
wer immer es sein mochte – hatte offenbar beschlossen, den Abend woanders zu verbringen, also ging ich hinein, zog die Vorhänge zu und schaltete eine Wandlampe an.
Da Simon und ich uns keineswegs mit einem nahrhaften Mahl im guten alten Shuttleworth Inn gesättigt hatten, war ich mittlerweile so hungrig, dass ich die Farbe von den Wänden hätte essen können. Ich verschlang daher die leicht aufgeweichten Sandwiches mit großem Appetit.
Danach begann ich meine lang aufgeschobene Suche nach Hinweisen. Ich fing mit dem Spielzeugschrank an.
Es dauerte nicht lange, bis ich den ersten Treffer landete. Im dritten Regal von oben, hinter einem kleinen Feuerwehrwagen und einer Holzkiste mit Zinnsoldaten, entdeckte ich einen Stapel mit weißem Schreibpapier, einen Topf mit Klebstoff und ein altmodisches Rasiermesser mit ultrascharfer Klinge – ein nützliches Werkzeug für einen Irren, der vorhat, Buchstaben aus Bü chern zu schneiden.
Der Kleber war frisch, es handelte sich also nicht um ein Relikt aus Dereks Schultagen, und das Papier glich den halben Seiten in meiner Tasche. Das Rasiermesser war jedoch der beste Fund. Als ich es aus dem Regal nahm, sah ich auf dem Griff aus Schildpatt eine silberne Intarsie, abgewetzt und stumpf, aber immer noch deutlich – das Wappen der Elstyns.
Ich hatte das Wappen auf jedem Stück Porzellan im Speisesaal gesehen, also war ein Irrtum ausgeschlossen. Das Rasiermesser stammte aus dem Familienbesitz, und hier lag es nun, zwischen dem Klebstoff und dem Papier, als gehöre es zu dem Bastelkasten für Drohbriefschreiber?
Das Messer schien wie ein Zeigefinger auf ein Mitglied der Familie zu deuten, aber auf welches? Ich spielte mit dem Gedanken, mich im Badezimmer zu verstecken, bis der Schurke wieder auftauchte, schob den Plan jedoch beiseite, weil er mir unpraktisch schien. Bill würde Alarm schlagen, wenn er mein Bett mitten in der Nacht leer vorfinden würde, oder mir die Sorte von Fragen stellen, die ich nicht beantworten konnte, ohne Simons Vertrauen zu missbrauchen.
Ich überlegte kurz, dann steckte ich das Rasiermesser zu den beiden üblen Briefen in meine Hosentasche. Ich würde es Simon gleich morgen früh zeigen. Vielleicht konnte er Schlüsse daraus ziehen, und ich würde den Spuren folgen, egal wohin sie führten.
Durch meine sensationelle Entdeckung beflü gelt, ging ich zum Bücherregal, hockte mich im Schneidersitz davor und sah die Bücher in den unteren Regalen durch. Die Bücher waren so alt wie das Kinderzimmer. Vielleicht hatte sie schon Lord Elstyn als Kind gelesen und an Derek weitergegeben. Der erste Band, der mir auffiel, wäre wohl nur jemandem ins Auge gestochen, der sich wie ich mit seltenen Ausgaben auskannte.
»Edith Ann!«,
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