Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
Zeit mehr. Simons Gesicht war inzwischen aschfahl geworden.
»Okay«, sagte ich barsch. »So sieht der Plan aus: Wenn jemand fragt, sagen wir, dass wir einen kleinen Ausflug machen. Wo ist das nächste Krankenhaus?«
»In Salisbury.«
»Ich kenne die Kathedrale«, sagte ich. »Ich bin auf die Libanonzeder im Kloster geklettert, und ich werde kein Problem haben, alle zu überzeugen, dass wir dort waren.«
Simon brachte ein schwaches Glucksen hervor. »Ich würde einiges darum geben, zu sehen, wie Sie auf die Libanonzeder klettern.«
»Vielleicht zeige ich es Ihnen eines Tages«, sagte ich. »Aber heute heißt es für Sie Röntgen und Computertomographie.«
Ich benutzte das Telefon auf dem Nachttisch, um Giddings zu bitten, den Mercedes zum Haupteingang bringen zu lassen, und bat ihn, dem Earl mitzuteilen, dass er uns nicht zum Dinner erwarten solle. Selbst wenn wir rechtzeitig zurück wären, bezweifelte ich, dass Simon in der Lage wäre, das Essen durchzustehen.
Ich half ihm dabei, ein braunes Samtjackett anzuziehen, holte rasch Mantel und Tasche aus meinem Zimmer und achtete auf ihn, als wir die Treppe hinuntergingen.
»Warum hat das Treffen so lange gedauert«, fragte ich ihn.
»Gina hielt einen ermüdend detaillierten Vortrag über Haileshams Soll und Haben«, antwortete er. »Dagegen dürfte eine Tomographie eine recht lustige Angelegenheit werden.«
Das Einzige, was ich von den Sehenswürdigkeiten Salisburys mitbekam, war die erleuchtete Turmspitze der Kathedrale, und auch die nur aus weiter Ferne. Den Rest des Besuchs verbrachte ich im Krankenhaus, wo der Bereitschaftsarzt nach einigen Stunden meine schlimmsten Befürchtungen zerstreute. Drei von Simons Rippen waren geprellt, aber nicht gebrochen, und es gab keine Anzeichen für eine Gehirnerschütterung.
Dr. Bhupathi verschrieb Schmerzmittel, schlug Bettruhe vor und verbot strikt jeden weiteren Ausritt auf Deacon, für mindestens eine Woche.
Auf dem Rückweg durch die Stadt besorgte ich uns in einem Café eine Graupensuppe und Sandwiches mit kaltem Hühnchen. Es war fast neun Uhr, als wir Hailesham erreichten. Da im Salon die Lichter brannten, dirigierte Simon mich zu einem verschwiegenen Hintereingang, wo wir wahrscheinlich niemandem begegnen würden.
Unsere heimliche Rückkehr wurde jedoch von Jim Huang bemerkt, der sich auf dem Weg zu seinem Zimmer im Bedienstetentrakt befand, erneut mit den Manuskripten und dem Laptop in den Armen. Zum Glück ging es dem dunkelhaarigen Archivar mehr darum, mich zu schelten, weil ich Mansfield Park auf einem Tisch in der Bibliothek hatte liegen lassen, als von Simon Notiz zu nehmen.
Simons Batterien waren fast leer. Er hatte sich bisher geweigert, eine Schmerztablette zu nehmen, aus Angst, sie könne ihn derart ausknocken, dass ich um Hilfe hätte bitten müssen, um ihn aus dem Wagen zu bekommen. Als wir sein Zimmer erreicht hatten, bewegte er sich so zö gerlich wie der alte Mr Harris.
Ich half ihm dabei, Schuhe, Strümpfe und Pullover auszuziehen, überließ den Rest jedoch ihm selbst, während ich mich höflich abwandte und den Suppenbehälter und einen Plastiklöffel aus der Tüte nahm. Ich wartete, bis er ins Bett gekrochen war und sich zugedeckt hatte, bevor ich ihm die Suppe brachte.
»Ich war noch nie in meinem Leben weniger hungrig«, sagte er tonlos.
»Essen Sie trotzdem«, befahl ich. »Sie dürfen Ihr Medikament nicht auf nüchternen Magen einnehmen.«
Ich versuchte es mit Schmeichelei und Überredung und hätte auch noch das Flugzeug-Löffel-Spiel ausprobiert, aber schließlich gab er nach und aß so viel Suppe, bis ich zufrieden war. Ich holte ein Glas Wasser aus dem Bad, legte zwei Tabletten auf meine Handfläche und bestand darauf, dass er beide herunterschluckte.
»Sie erinnern mich an mein Kindermädchen«, brummte er missgelaunt.
»Sie erinnern mich an meine Dreijährigen«, gab ich zurück und arrangierte sachte seine Kissen.
»Typisch für mich«, murmelte er. »Da gelingt es mir endlich, Sie in mein Schlafzimmer zu locken, nur damit Sie es in ein Kinderzimmer verwandeln.«
»Dahin werde ich als Nächstes gehen«, sagte ich und setzte mich auf die Bettkante.
Er sah mich besorgt an. »Es wäre mir lieber, Sie täten es nicht.«
»Ich muss die Kinderbücher durchsehen«, erinnerte ich ihn. »Vielleicht finde ich etwas, das mich auf die Spur …«
»Es wäre mir lieber, Sie täten es nicht«, wiederholte er. Er sprach bereits etwas undeutlich, und seine Augenlider schienen immer
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