Tante Dimity und der skrupellose Erpresser
wird«, murrte ich und griff nach meinem Morgenmantel. »Aber nicht mitten in der Nacht.«
»Ich tippe mal, dass Gina nicht ganz unschuldig daran ist«, meinte Bill und deutete auf den Servierwagen. »Es würde ihr entgegenkommen, wenn heute Morgen nicht alle ganz ausgeschlafen sind.«
»Es geht um Elstyns Geschäfte.« Ich gähnte herzhaft. »Was soll ich dabei?«
»Ich weiß es nicht.« Bill schob den Wagen zwischen die beiden Sessel am Kamin und bat mich zu sich. »Aber wenn es gleich so weit ist, dass wir es erfahren, will ich satt und munter sein.«
Als wir die Haupttreppe hinuntereilten, wurde Bills Blick so dunkel wie sein dreiteiliger Anzug.
Er machte den Eindruck, als ginge er in eine Schlacht. Er war formell gekleidet, mir ging es um Wärme. Ich hatte einen cremefarbenen Kaschmirpullover mit einem maßgeschneiderten Tweedblazer und einem Rock kombiniert. Meine Schultertasche hatte ich auch dabei. Sie enthielt den Draht mit den Blitzlichtern, den ich dem Earl nach dem Ende der geschäftlichen Besprechung zeigen wollte.
Das Arbeitszimmer befand sich hinter dem Billardzimmer, in einem Teil des Gebäudes, den ich noch nicht erkundet hatte. Durch die mannshohen Fenster hatte man einen guten Blick auf das nördliche Ende des Hofes, dort wo die Stallungen standen und wo einst ein junger Rabauke namens Peter einen Schneeball auf Oliver geworfen und danebengezielt hatte.
Das Arbeitszimmer war von relativ bescheidener Größe und zeugte von einem männlichen Geschmack. Alles erinnerte mich an die altmodischen Clubs: die mit Eichenholz verkleideten Wände, die glänzenden ochsenblutfarbigen Ledersessel, die Drucke mit Jagdmotiven, die Standuhr und die goldverbrämten Samtvorhänge.
Am anderen Ende des Raums befand sich ein Kamin mit einem Eichensims, in dem ein Feuer brannte, und der Duft von Zigarrenrauch schien permanent in der Luft zu liegen.
Die Stühle waren in einem Halbkreis aufgestellt worden, vor dem massiven Mahagonischreibtisch, der an den Fenstern stand. Als Bill und ich den Raum betraten, waren einige Stühle bereits besetzt. Peter saß in der Mitte des Halbkreises, Derek und Emma rechts von ihm, Claudia und Oliver links. Gina stand hinter dem Schreibtisch und blätterte in einer Dokumentenmappe, während Simon vor dem Kamin stand, mit dem Rücken zu ihr.
Nur Nell und Lord Elstyn fehlten noch. Ich vermutete, dass sich der Earl einen dramatischen Einzug ausgedacht hatte, und Nell war sicherlich noch nicht in der Verfassung, an dem Treffen teilzunehmen.
Alle drehten sich zu uns, als wir den Raum betraten, inklusive des rothaarigen Dienstmädchens, das herumging und den Anwesenden Tee anbot.
Nur Simon nahm eine Tasse, wohl eher aus Höflichkeit, denn er stellte sie umgehend auf dem Kaminsims ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Nachdem alle anderen abgelehnt hatten, machte das Dienstmädchen einen Knicks und verließ das Zimmer.
Gina bedachte Bill mit einem kurzen, missbilligenden Blick, als der neben Derek Platz nahm, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Mappe zu. Ich blieb kurz bei Emma stehen und erkundigte mich nach Nell.
»Nell ist Nell«, meinte Emma mit einem etwas bemühten Lächeln. »Sie wollte nicht, dass wir die Nacht hindurch an ihrem Bett wachten, weil ihr Unfall uns so mitgenommen hätte.«
»Wir haben natürlich immer wieder bei ihr reingeschaut«, fügte Derek hinzu. »Jedes Mal schlief sie fest. Ich glaube, wir haben uns richtig entschieden, als wir ihr erlaubten, das Krankenhaus zu verlassen.«
»Daran gibt es keinen Zweifel«, bekräftigte ich und ging zu Simon am Kamin hinüber.
»Tee?«, fragte er und deutete auf die Tasse auf dem Sims. »Ich kriege heute Morgen keinen Schluck herunter.«
»Nein, danke«, sagte ich und rückte etwas näher an ihn heran. »Haben Sie mit Giddings über Chambers gesprochen?«
»Ich hatte noch keine Gelegenheit«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Niemand scheint zu wissen, wo Giddings überhaupt steckt.« Er sah mich neugierig an. »Im Übrigen wundere ich mich, Sie hier zu sehen. Ich freue mich natürlich, aber ich wundere mich.«
»Ich wundere mich noch viel …« Ich brach ab, weil in diesem Augenblick die Tür aufgesto ßen wurde.
Lord Elstyn marschierte ein. Er schien seine alte Energie wiedergefunden zu haben. Ohne nach links oder rechts zu sehen, ging er zu seinem Schreibtisch und nahm dahinter Platz. Gina setzte sich mit der Mappe in der Hand auf den Stuhl neben Oliver, das Gegenstück zu Bill, der neben Derek
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