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Tante Dimity und der unbekannte Moerder

Tante Dimity und der unbekannte Moerder

Titel: Tante Dimity und der unbekannte Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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der Seite fürchtete ich mich ohnehin vor niemandem.
    Nicholas blies die Kerze aus und ging voran.
    Ich musste meine ganze Kraft darauf verwenden, mit ihm Schritt zu halten. Ich hatte erwartet, dass wir uns George Wetherheads Haus auf dem Uferweg nähern würden, aber Nicholas hatte eine viel direktere Route ausgekundschaftet. Seine Abkürzung sah allerdings vor, dass wir über Zäune springen, uns unter Zweige ducken und uns durch eine Hecke zwängen mussten. Ihn störte das nicht weiter. Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Panters und gab mir mit einfachen Handbewegungen Tempo-und Rich-tungswechsel vor.
    Ich hoppelte hinterher, so flott ich konnte. Der Regen und die schmerzenden Muskeln waren im Jagdfieber ganz vergessen. Ich hatte das Gefühl zu fliegen.
    Vor dem alten Schulhaus wurden wir langsamer, und ab der hinteren Ecke des Schulhofs schlichen wir in geduckter Haltung dahin. Keine zehn Meter vor uns stand George Wetherheads Haus; die Fenster waren von schweren Vorhängen verdeckt.
    Wir tasteten uns an der Mauer entlang weiter, bis wir einen freien Blick auf die Vordertür hatten. Doch Nicholas gab sich nicht damit zufrieden, die Sache aus der Ferne zu beobachten. Er sprintete nach vorne und huschte von Fenster zu Fenster, auf der Suche nach einem Spalt zwischen den Vorhängen.
    Ich war entsetzt. Ich hatte wirklich keinerlei Absicht gehabt, den armen Mann derartig auszuspionieren, und bei Nicholas hatte ich eine ähnliche Haltung vermutet. Als er unter einem Seitenfenster stehen blieb und mich zu sich winkte, schlich ich in dem festen Vorsatz hinüber, meinem Ärger Luft zu machen.
    Ich zupfte schon an seinem Jackenärmel, als plötzlich Mirandas volle Stimme nach draußen drang.
    »Sechs Uhr, Schätzchen. Ich muss jetzt gehen. Wenn du deine Hose anziehst … Ich denke, für heute war es genug, meinst du nicht auch?«
    Ich prallte zurück, packte Nicholas am Arm und zerrte ihn vom Fenster fort. Mit einem heftigen Kopfschütteln gab ich ihm zu verstehen, dass seine Tage als Voyeur gezählt waren, und wir zogen uns hinter das Haus zurück. Da ich Mirandas unnachahmliche Stimme bereits identifiziert hatte, brauchte ich nicht auch noch ihren Abgang durch die Vordertür zu verfolgen.
    Nicholas schwang sich elegant über die Mauer, die George Wetherheads Hintergarten vom Grundstück der Buntings trennte, und strebte auf die Terrassentür zu, die ins Büro des Pfarrers führte. Ich kletterte weniger anmutig hinterher, landete in etwas, das sich wie ein knöcheltiefer See anfühlte, und erinnerte mich zu spät daran, dass mein Vorrat an trockenen Kleidern damit aufgebraucht war. Mit einem tiefen Seufzer watete ich weiter und folgte Nicholas die Steinstufen zu der verglasten Tür hinauf.
    Bill und ich hatten schon so einige vergnügliche Stunden in dem von Bücherregalen gesäumten Büro im hinteren Teil des Pfarrhauses verbracht. Hier waren die Möbel so verschlissen –
    und bequem – wie ein alter Bademantel, doch sie verdienten es nicht, schäbig behandelt zu werden. So wrang ich erst den vollgesogenen Hosenaufschlag aus und streifte meine durchnässten Schuhe ab, ehe ich mich ins Büro wagte.
    Als ich eintrat, hatte sich Nicholas bereits seiner Schuhe entledigt, sich aus der Windjacke geschält, im Kamin ein Feuer entfacht und aus dem Schrank seiner Tante zwei Handtücher sowie eine Wolldecke geholt. Er platzierte meine Turnschuhe neben seinen Stiefeln beim Feuer und deutete mit einer Kinnbewegung auf das grüne Samtsofa, das gegenüber dem Sessel des Pfarrers vor dem Kamin stand.
    »Setz dich«, forderte er mich auf. »Du musst ja bis auf die Knochen durchgefroren sein.«
    »Kein Grund, Hektik zu verbreiten.« Ich setzte mich aufs Sofa und streckte die Hand nach einem Frottiertuch aus. »Mir geht’s prima .«
    Mit einem ironischen Grinsen legte Nicholas mir die Wolldecke um die Schultern. Während das Feuer im Kamin hüpfte und prasselte und die Wärme sich langsam im Zimmer ausbreitete, frottierten wir uns jeder für sich in komplizenhaftem Schweigen das Haar. Und als meine kurzen Locken und seine langen Zotteln einigerma ßen trocken waren, ging Nicholas mit den Tü chern aus dem Zimmer, um gleich darauf mit zwei großen Tassen heißem Kakao zurückzukehren. Die erste reichte er mir, mit der zweiten setzte er sich in den Sessel des Pfarrers und streckte die bestrumpften Füße vor dem Feuer aus.
    Ich legte die Beine aufs Sofa und hielt die noch feuchten Füße ebenfalls in Richtung der Flammen.

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