Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
hat Gerald ihn angelogen , aber vielleicht war das ganz gut so . Wenn William die Fährte verliert , bleiben uns allen viel Ärger und Unannehmlichkeiten erspart . William ist wirklich ziemlich unmöglich .
Was für eine Veranlassung hat er bloß , in einem Familienstreit herumzuschnüffeln , der so lange zurückliegt? Ein Gentleman in seinem gesetzten Alter sollte wirklich wissen , dass es fast immer am besten ist , wenn man keine schlafenden Hunde weckt .
Ich vermute , Gerald wird euch über Williams neueste Pläne ebenfalls anlügen , aber ihr dürft nicht zu hart über ihn urteilen . William hat ihn in eine sehr schwierige Lage gebracht . Eines jedoch möchte ich ganz klar machen : Ich werde kein Fotokopiergerät im Haus dulden . Es würde schrecklich deplatziert wirken , und außerdem bin ich sicher , dass das Geräusch die Kaninchen verjagen würde .
Ich muss jetzt los . Reginald wird dableiben und euch diese Nachricht überbringen . Seht zu , dass ihr William nicht aus den Augen verliert . Ihr müsst dafür sorgen , dass er die Sache fallen lässt , und ich verlasse mich dabei auf euch .«
Wortlos und nachdenklich kratzte ich mich am Kopf, dann gab ich Nell den Zettel zurück und ließ den Motor wieder an. »Schlafende Hunde und Fotokopiergeräte. Die liebe Dimity. Jetzt ist wieder mal alles so klar wie Kloßbrühe.«
Nell steckte den Zettel wieder ein und setzte Reginald auf die Handbremse zwischen den Sitzen.
»Hast du gemerkt, dass Tante Dimity die Angewohnheit hat, einfach anzunehmen , dass man weiß, wovon sie spricht?«
»Es ist wie ein Zahlenbild, bei dem man die Punkte verbinden muss, allerdings ohne die Reihenfolge zu kennen«, stimmte ich zu. »Aber keine Angst, Nell, wir kommen schon dahinter.« Ich sprach ihr Mut zu, bis wir in die Midhurst Road einbogen und Reginald auf seinem Platz zwischen den Sitzen umfiel. Als ich seine schwarzen Knopfaugen auf mir spürte, wurde ich still.
Vielleicht kannst du Nell mit deiner munteren Fassade täuschen , schien er zu sagen, aber mich täuschst du nicht . Es war, als ob er das Warnlicht gesehen hätte, das durch den Nebel der Andeutungen in Dimitys Brief blinkte. Scheinbar wollte er sich überzeugen, dass ich es auch gesehen hatte.
Gerald Willis war ein Lügner. Wenn ich Dimitys Botschaft richtig verstanden hatte – und da war immer dieses Wenn – , dann hatte er Willis senior nicht die Wahrheit gesagt, was die berühmte Familienfehde von 1714 anbetraf; und mich hatte er hinsichtlich Willis seniors neuesten Plänen angelogen. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum Gerald über einen Streit, der vor dreihundert Jahren stattgefunden hatte, nicht die Wahrheit sagen wollte, aber ich hatte einen Verdacht, warum er mich angelogen hatte.
Willis senior musste sich mit ihm über die Gründung einer Filiale geeinigt haben und hatte ihn sicher gebeten, die Sache geheim zu halten, bis er den Plan mit Lucy besprochen hatte. Gerald hatte mich also aus geschäftlichen Gründen angelogen, und obwohl ein Teil von mir es vollkommen verstand, fühlte sich der andere Teil – der ungeduldige, unvernünftige Teil – schrecklich hintergangen.
Ich hatte Gerald vertraut. Ich hatte alles geglaubt, was er mir erzählt hatte. Ich hatte in seine ehrlichen Augen geschaut und einen Menschen gesehen, der geradlinig und anständig war und der seine Karriere den Bedürfnissen seines Vaters unterordnete. Es war schrecklich enttäuschend, festzustellen, dass auch er einfach nur ein Rechtsanwalt war, ein Schlitzohr wie alle anderen, der aus eigenem Interesse nur halbe Wahrheiten sagte. Ich hatte eigentlich kein Recht, enttäuscht zu sein, denn die kleine Nicolette und ich hatten auch nicht gerade ein ehrliches Spiel mit Gerald getrieben – aber ich war es dennoch.
Mein verletzter Finger pochte schmerzhaft, als ich die Hand nach Reginald ausstreckte und ihn wieder aufsetzte. »Wir werden es schon hinkriegen«, wiederholte ich.
»Natürlich«, sagte Nell, »aber ich glaube, wir sollten erst etwas essen.«
» Mais non , ma petite «, sagte ich und versuchte, um Nells willen so unbekümmert wie möglich zu klingen. »Das Essen ist zweitrangig. Erst die Anrufe.«
Im Georgian erwartete uns eine telefonische Nachricht von Emma, aber ehe ich ihren Anruf erwidern konnte, rief ich Miss Kingsley an, um zu fragen, ob Willis senior angekommen war. Sie sagte mir, sie habe ihn weder gesehen noch von ihm gehört, seit wir vor drei Tagen im Flamborough übernachtet hatten.
Miss Kingsley
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