Tante Dimity und der unerhoerte Skandal
habe die meisten vertilgt.
Ich wandte mich zu ihm und sagte mitfühlend:
»Ich verstehe gut, dass Sie sich alle geärgert haben, als Gerald aufhörte.«
Mit einem Ruck drehte Arthur sich um. »Hat sie es Ihnen gesagt?« Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Unvorstellbar. Sieht Lucy gar nicht ähnlich, sich zu beklagen. Na ja, wenn meine große Liebe mit so einer bleichgesichtigen alten Kuh abhauen würde, dann würde ich auch ab und zu heulen. Nett, dass Sie ihr zugehört haben.«
Ich trank meinen Tee und wartete darauf, dass mein Gehirn Arthurs StaccatoGeschwätz in normales Englisch übersetzte. Dann verschluckte ich mich. Du lieber Gott , dachte ich, während ich in meine Serviette hustete, also ist Lucy auch in Gerald verliebt .
Ich hätte es ahnen müssen. Lucy sandte zwar andere Signale aus als die arme errötende Miss Coombs, aber sie waren die ganze Zeit da gewesen, nur hatte ich sie nicht erkannt. Die Ironie ließ mich zusammenzucken. Lucy Willis, Fürsprecherin einer außergewöhnlich starken Frau, spielte selbst eine der ältesten Rollen überhaupt: die einer verschmähten Frau.
»GerGerald erzählte uns, dass er sich um seinen Vater kümmert«, brachte ich mühsam heraus.
»Um Onkel Tom? Oben in Bedfordshire?« Arthurs Gelächter brach aus der Tiefe seiner mächtigen Brust und machte sich in einer Reihe von lauten Lachsalven Luft. »Na ja, vermutlich musste er ja irgendwas erzählen, aber … Wie soll er das denn machen? Von Surrey pendeln? Der gute alte Gerald. Kümmert sich also um Onkel Tom …«
»Mr Digby sagte, er fährt zweimal die Woche mit dem Zug nach London«, sagte Nell.
»Wer ist Mr Digby?«, fragte Arthur und wischte sich die Lachtränen ab.
»Der Portier im Georgian Hotel in Haslemere«, erwiderte Nell. »Seine Tochter arbeitet am Bahnhof, und sie sagte …«
»Verdammte Unverschämtheit!«, rief Arthur aus. »Du kannst Mr Digby und seiner Tochter ausrichten, sie sollen sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und keinen Klatsch über Gerald verbreiten.« Er ging zu seinem Sessel zurück und ließ sich von Nell eine dritte Tasse Tee einschenken. »Aber vermutlich«, gestand er nach einigem Nachdenken, »hat Gerald selbst Schuld. Kann gar nicht verstehen, was er in dieser alten Wachtel sieht. Ein Kloß von einer Frau – dürre Beine, keinerlei Taille, gefärbte Haare. Und auch nicht mehr ganz jung. Tut so, als ob alles ganz wunderbar ist, aber wenn man diese Augen sieht …« Arthur erschauerte. »Ein hartgesottenes Weib. Und das Schlimmste ist, Gerald lädt sie ausgerechnet dorthin zum Essen ein, wo wir eigentlich immer mit unseren Klienten hingegangen sind. Jetzt natürlich nicht mehr. Schlimm für Lucy. Die Arme.«
Nell bot Arthur den Teller mit den Törtchen an, er nahm drei Stück und ließ sie nacheinander in seinem Mund verschwinden.
»Schadet es der Firma?«, fragte sie.
»Hilft nicht gerade«, erwiderte Arthur, nachdem er mühsam geschluckt hatte. »Es geht uns ganz gut, aber ohne Gerald ist es nicht mehr dasselbe. Die alten Weiber liebten ihn. Ältester Sohn des ältesten Sohnes der Familie Willis – Tradition und so. Die alte Lady Rutherford hätte ihm aus der Hand gefressen.« Er sah nach der Tür und in vertraulichem Flüstern fügte er hinzu: »Leicht erregbar, müssen Sie wissen. Ich hätte ihren Alten nicht einen wahren Prinzen nennen sollen. Fuhr mich an, das sei eine Beleidigung des Königshauses.«
»Warum ist Gerald ausgeschieden?«, fragte ich.
» Le cœur a ses raisons , wie man so sagt.« Arthur sah über den Rand seiner Teetasse. »So sagt man doch, oder?« Er lehnte sich im Sessel zurück, und als er die Beine übereinander schlug, blieb mir fast das Herz stehen.
»Arthur«, sagte ich mit gespielter Nonchalance,
»was haben Sie denn da an Ihrer Schuhsohle?«
»Hmm?« Arthur sah hinunter auf das Stück Papier, das an seiner Sohle klebte. »Lucy würde einen Anfall kriegen, wenn sie das sähe. Sie ist immer hinter mir her, weil ich Sachen auf dem Boden liegen lasse.«
Mit einem angestrengten Schnaufer nahm er das Stück Papier und warf es in Richtung Papierkorb, der neben Lucys Schreibtisch stand. Er warf daneben.
Entsetzt erkannte ich, dass es eine Seite aus dem Tagebuch war, die da durch die Luft segelte und mitten auf dem Teppich landete. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nell zusammenzuckte, als die Tür geöffnet wurde und Lucy hereinkam.
»Arthur, ich habe dich schon so oft gebeten, doch wenigstens zu versuchen, deine
Weitere Kostenlose Bücher