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Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Tante Dimity und der unerhoerte Skandal

Titel: Tante Dimity und der unerhoerte Skandal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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und er scheint sich auf Ihren Besuch zu freuen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese historischen Diskussionen ihn günstig beeinflussen. Ist Ihnen sein Zustand bekannt?«
    »Ich weiß, wie es dazu kam«, erwiderte ich.
    »Seine Frau und sein Schwager Douglas …« Ich wollte die geschmacklosen Einzelheiten nicht weiter ausbreiten.
    Sir Poppet nickte, um anzudeuten, dass er verstand, dann schwang er seine Beine über die Seite seiner Liege. »Hätten Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang, Miss Shepherd?«
    Wir rückten einen grünweißen Sonnenschirm heran, damit Reg und Bertie in der Sonne nicht zu sehr ausbleichten, dann gingen wir einen schattigen Weg entlang, der erst am Haus vorbeiführte und dann allmählich zu einem kleinen See abfiel. Nell und Paul waren auf der anderen Seite und warfen Brotkrusten ins Wasser, um die sich eine Schar begeisterter Schwäne balgte. Sie schienen unsere Ankunft nicht zu bemerken. Sir Poppet ging langsam und sah zu Boden.
    »Der Verlust seiner Frau hat Williston schwer traumatisiert«, sagte er. »Er wird damit fertig, indem er sich völlig aus der Welt zurückzieht. Er ist praktisch ein anderer Mensch geworden.« Sir Poppet verschränkte die Hände hinter seinem Rücken.
    »Ich will Sie nicht lange mit technischem Jargon langweilen, Miss Shepherd. Aber Sie haben sicher schon von Patienten gehört, die behaupten, Sherlock Holmes oder Mutter Teresa oder der Papst zu sein. Williston suchte sich jemanden aus, der ihm ein wenig näher stand. Genauer gesagt, einen seiner eigenen Vorfahren.« Sir Poppet blieb stehen und wandte sich zu mir. »Unser Williston ist fest davon überzeugt, dass er der Zwillingsbruder ist, der im achtzehnten Jahrhundert die Familienfirma übernahm.«
    »Onkel Williston denkt, dass er … Sir Williston ist?«, sagte ich ungläubig.
    »Der fleißige, gewissenhafte Sir Williston«, bestätigte Sir Poppet, »der einen tiefen Groll gegen den nichtsnutzigen Zwillingsbruder hegte, der in die Kolonien auswanderte.«
    »Ähnlich dem Groll, den Onkel Williston gegen einen nichtsnutzigen Schwager hegt, der nach Kanada ging«, sagte ich. Ich fing an, zu verstehen.
    »Genau.« Sir Poppet nickte. »Die Parallele ist klar. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum Williston sich so stark mit diesem Vorfahr identifiziert.«
    »Und Sie denken, dass unser Besuch helfen könnte?«, fragte ich.

    Sir Poppet sah nachdenklich zu Nell hinüber, die sich ein kleines Stück von Paul entfernt hatte, um eine andere Gruppe von Schwänen zu füttern.
    »Wie ich schon sagte, Miss Shepherd – wer weiß?
    Ich bemühe mich schon zwei Jahre lang, zu ihm durchzudringen – ohne Erfolg. Ich bin bereit, einen neuen Weg zu versuchen.«

    Cloverly House war ein roter Backsteinbau, ähnlich dem Haus von Sir Poppet. Die Fenster waren nicht vergittert, Eichen und Ahornbäume standen auf dem Rasen vor dem Haus, der von Beeten mit fröhlichen roten Geranien gesäumt war, und überall saßen gut gekleidete Patienten in der Sonne oder schlenderten mit Pflegern in weißer Tracht durch die Gegend. Am Himmel, der vom Staub der Hopfenernte diesig war, flitzten Scharen von Schwalben und Mauerseglern umher. Emma war nicht die einzige Gärtnerin, für die der August ein geschäftiger Monat war.
    Sir Poppet ging eilig durch die Vorhalle in sein Büro, wo er sich in geschäftlichem Ton kurz mit seiner Sekretärin besprach, ehe er uns die breite geschwungene Treppe hinauf und einen Korridor mit rotem Teppich entlang führte. Als ich eine Bemerkung darüber machte, wie offen und großzügig alles war, erklärte er, dass Cloverly House keine gewalttätigen Patienten aufnahm, dass man jedoch mit Hilfe diskret angebrachter Überwachungskameras die Bewegungen aller Bewohner im Auge behalten könne.
    Onkel Williston hat es doch gut, dachte ich.
    Cloverly House machte mehr den Eindruck eines gehobenen Clubs auf dem Lande als eines Sanatoriums für Geisteskranke. An den Wänden hingen Gemälde, auf den Tischen standen Vasen mit Blumen und über allem lag ein frischer Duft – keine Spur des antiseptischen Geruchs, der Krankenhausbesuche so unangenehm macht.
    Nell hatte für diesen Besuch ein hochgeschlossenes, langärmeliges Kleid aus weißem Georgette angezogen. Mit ihrem zierlich gerüschten Kragen und ebensolchen Manschetten sah sie aus wie einer viktorianischen Valentinskarte entsprungen, aber statt süßer Unschuld strahlte sie unnahbare Würde aus – ein stiller Vorwurf, wie mir schien, angesichts meiner Weigerung,

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